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Streit um den Dritten Weg: Am 20. November entscheidet das Bundesarbeitsgericht über den Sonderweg von Kirche und Diakonie im Arbeitsrecht.
Koalitionsfreiheit versus kirchliche Selbstbestimmung
An diesem Dienstag könnte das Bundesarbeitsgericht (BAG) an den Grundsätzen des kirchlichen Arbeitsrechts rütteln. Für die Kirchen und ihre bundesweit 1,3 Millionen Beschäftigten steht viel auf dem Spiel.
19.11.2012
epd
Frank Leth

Die Erfurter Richter entscheiden in zwei Verfahren darüber, ob in den Kirchen sowie bei deren Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie ein generelles Streikverbot zulässig ist. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hatte dies am 13. Januar 2011 und das LAG Hamburg am 23. März 2011 abgelehnt.

Die beiden großen Kirchen berufen sich beim Streikverbot auf das Grundgesetz. Dieses gewähre ihnen das Recht, selbst über ihre Angelegenheiten zu bestimmen, also auch über die Arbeitsverhältnisse. Dazu hat die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) der Diakonie vor einem Jahr auferlegt, sie "solidarisch auszugestalten", sprich faire Löhne zu zahlen. Das Thema spielte bei den Beratungen der diesjährigen EKD-Synode, die Anfang in Timmendorfer Strand stattfand, keine Rolle.

Erhöhter Druck durch mehr Wettbewerb

Die kirchlichen Unternehmen gelten als sogenannte Dienstgemeinschaften. Das bedeutet: Arbeitgeber und Arbeitnehmer verschmelzen - zumindest in der Theorie - zu einer Gemeinschaft, die dem christlichen Dienst am Nächsten nachkommt. Zu diesem Selbstverständnis gehört auch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nicht mit Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks und Aussperrung befehden.

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Löhne und Arbeitsbedingungen werden auf dem sogenannten Dritten Weg vereinbart. Dabei handeln mit Beschäftigten und Arbeitgebern paritätisch besetzte Kommissionen Löhne und Gehälter aus. Können sie sich nicht einigen, trifft ein Schlichter eine für alle verbindliche Entscheidung.

Über viele Jahre orientierten sich die Kirchen an den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Doch seit den 90er Jahren herrscht in der Sozialbranche ein deutlich verschärfter Wettbewerb. Daher stehen die Löhne der kirchlichen Mitarbeiter unter Druck. Einige Kirchenunternehmen gliedern seither Betriebsbereiche wie etwa die Wäscherei eines Krankenhauses aus, oder sie setzen gar billige Leiharbeiter ein - sehr zum Unwillen des Bundesverbandes der Diakonie und der Kirchenleitenden.

Nicht jeder übt "Dienst am Nächsten"

Die Gewerkschaft ver.di macht gegen den Dritten Weg mobil. Sie meint, nur mit Arbeitskampfmaßnahmen wie Streiks könne auf Augenhöhe verhandelt werden. Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und das damit einhergehende Streikrecht müsse auch für kirchliche Unternehmen gelten.

In dem Urteil des LAG Hamm, über welches das BAG am 20. November zu entscheiden hat, wurde ein generelles Streikverbot abgelehnt. Im Streitfall hatte ver.di zu Streiks aufgerufen. Die Evangelische Kirche von Westfalen, die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover und Diakonische Werke klagten auf Unterlassung.

Das LAG entschied: Die Beschränkung des Streikrechts komme in Betracht, wenn "dies zur Aufrechterhaltung des in christlicher Überzeugung geleisteten 'Dienst am Nächsten' geboten ist". Das treffe aber nicht auf jeden Beschäftigten einer kirchlichen Einrichtung zu, wie etwa einer Reinigungskraft oder einer Verwaltungsangestellten. Hier könne ein Streikverbot unverhältnismäßig sein.

Ist Streiken ein Menschenrecht?

"Wir möchten selber definieren, wie wir unseren Verkündigungsauftrag verstehen", reagierte darauf der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider. Dieses Recht sei auch vom Bundesverfassungsgericht gedeckt. Hingegen argumentiert ver.di-Chef Frank Bsirske: "Streikrecht ist Menschenrecht. Und Menschenrechte sind nicht teilbar."

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Das LAG Hamburg gab in seinem Urteil der Ärztegewerkschaft Marburger Bund recht. Ihm dürfe im Bereich der nordelbischen Landeskirche nicht generell verboten werden zu streiken. Streikverbot und Zwangsschlichtung benachteiligten Arbeitnehmer in unzulässiger Weise.

Das BAG in Erfurt wird wohl nicht das letzte Wort sprechen. Die Streitparteien haben bereits angekündigt, dass sie bei einer für sie ungünstigen Entscheidung voraussichtlich das Bundesverfassungsgericht und möglicherweise auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen werden.