Kinder und Hunde
von Claudius Grigat, freier Mitarbeiter bei evangelisch.de
Meine Tochter ist noch keine drei Jahre alt, damals an dem Samstagvormittag, als ich mit ihr bei der Bäckerei um die Ecke in der Schlange stehe. Die geht mal wieder quer durch den Verkaufsraum zur Tür, über die drei Stufen hinab und beschreibt schließlich einen kleinen Halbkreis auf dem Bürgersteig vor dem Geschäft. Das bedeutet: Warten! Für Kinder nicht gerade eine Lieblingssituation – und damit auch für Eltern nicht. Als wir endlich an der Reihe sind, haben wir mehr als eine Viertelstunde angestanden, haben vorbeieilende Nachbarn gesehen und diverse Hunde beobachtet, die vor und hinter uns ebenfalls mit ihren Besitzen in der Schlange stehen. Nur einer nicht: Ein großer, schwarzer, von was-weiß-ich-für-einer Rasse. Er ist größer als meine Tochter – und am Treppengeländer angebunden, lose.
Als wir nun also endlich dran kommen, wird die Kleine fürstlich entlohnt für ihre Geduld und ihr artiges Anstehen. Sie darf ein süßes 'Kinderbrötchen' entgegen nehmen. Strahlend und stolz hält sie es in der Hand, als wir das Geschäft verlassen, uns an der Schlage vorbeizwängen und die Stufen hinabsteigen. Das ist für sie immer noch eine kleine Herausforderung: Die Stufen sind steil und ihre Beine kurz. Also schaut sie konzentriert zu Boden. Im nächsten Moment höre ich sie schreien, schrill, wie ich es eigentlich nicht von ihr kenne. Als ich mich umdrehe, sehe ich den schwarzen Hund, die Leine immer noch locker, auf den Hinterbeinen, im Maul das Kinderbrötchen. Am Kinderbrötchen die kleine Faust meiner Tochter, das Brötchen krampfhaft festhaltend.
In meinem Kopf läuft sofort ein Film ab: Von meinem Bruder, der als Kind den Hund meines Onkels ausgerechnet beim Fressen streicheln wollte und dafür ins Gesicht gebissen wurde. Im nächsten Augenblick bin ich zurück gesprungen und kann die Hand vom Brötchen lösen: Inzwischen ist sie ganz im Hundemaul verschwunden. Zurückziehen, auf den Arm nehmen, zwei Meter zurück – alles eine Bewegung. Gottseidank, ich sehe kein Blut. Dann trösten. Minutenlang. Schluchzen, Wimmern, Zittern. Der Schock sitzt tief. Und dann, dann höre ich die Stimme, hinter uns, aus der Schlange: "Der macht nix. Der ist doch Kinder gewohnt. Wir haben ja selber welche." Kein Wort der Entschuldigung oder des Trostes. Auch kein neues Kinderbrötchen.
Meine Tochter hat seitdem Angst vor Hunden. Große Angst. Und ich vor Hundebesitzern. Einen Bogen machen wir um beide!
Wer stinkt? Warum?
von Anne Kampf, Redakteurin bei evangelisch.de
Da ist es wieder. In der Nase, im Kopf, im Hals, im Bauch. Dieser ekelhafte stechende Geruch. Schweiß, Mief, Alkohol. Mir wird schlecht.
Wie sperrt man bloß den Weg von der Nase zum Gehirn ab? Wie atmet man ohne zu riechen? Und wie lange dauert diese Busfahrt noch?
Zehn Minuten. Zehn Minuten Gestank. Mal schauen, wer es diesmal ist: Der ältere Mann vor mit der Lederkappe? Nein, der sieht zu vornehm aus. Der jüngere daneben mit dem teuren orange-roten Anorak? Glaube nicht. Die Frau hinter mir, die ihrer Sitznachbarin laut von diversen Arztbesuchen erzählt? Vielleicht. Ich kann sie nicht sehen. Aber man sieht es ja auch nicht! Die Leute im Bus tragen ordentliche Sachen, haben halbwegs gepflegte Haare, sehen von außen sauber aus, haben keine Bierflaschen dabei.
Wer hat nicht geduscht? Wer hat zwei Wochen lang dasselbe T-Shirt an? Wer hat gesoffen? Warum? Um Leute wie mich mit empfindlicher Nase zu ärgern? Weil sie selbst keine Riechnerven haben? Mir wird schlecht. Noch drei Haltestellen. Morgen wieder Fahrrad, ich schwöre! Regen ist egal - der riecht wenigstens gut!
Rücksichtslosigkeit
von Markus Bechtold, Redakteur bei evangelisch.de
Meine Toleranz erschöpft sich, wenn ich merke, dass im lauten Getriebe der Zeit auf Menschen, die schwächer, älter, jünger, unerfahrener, größer, kleiner oder gehandicappt sind, keine Rücksicht genommen wird. Wenn ausschließlich zählt, dass ein Ziel besser als gut erreicht wird, das "Wie", also der Weg zum Ziel, das Miteinander dabei aber keine Rolle spielt. Meine Toleranz stößt dort an ihre Grenzen, wo Menschen auf der Strecke bleiben.
Wie neulich an einem Sonntag, als ich auf dem Großen Feldberg im hessischen Taunus war. Am Nachmittag fuhr ich mit dem verspäteten und übervollen Bus mit müden Ausflüglern zurück Richtung Stadt. Dabei nahm der Fahrer zu zügig die Kurven. Kurzerhand flog eine alte Dame von ihrem Sitz in den Gang. Aufgefangen wurde sie von einer Mutter mit Kind. Der Busfahrer bemerkte den Vorfall nicht. Zu sehr saß ihm wohl die Zeit im Nacken.
Also kein besorgter Blick, keine Frage nach dem Wohlbefinden und kein Angebot der Hilfe. Wenn schon Höchstgeschwindigkeit angestrebt wird, dann müssen auch sichere Rahmenbedingungen für alle geschaffen werden. Im Bus wäre es ein sicherer Halt für die Fahrgäste, in anderen Lebensbereichen ein gut organisiertes und faires Miteinander. Ansonsten ist menschlicher Verlust einkalkuliert. Da bin ich ganz intolerant!
Zigarettenrauch
von Hanno Terbuyken, Portalleiter von evangelisch.de
Es ist wie eine Wand. Eine zähe, unnachgiebige, dreckige Wand, durch die man sich erst durchkämpfen muss wie Frodo und Sam durch Kankras Spinnennetz. Ich will eigentlich gar nicht mehr einatmen, aber ich muss halt irgendwann doch mal Luft holen. Wenn man das noch Luft nennen kann, was man früher in einer Raucherkneipe einatmen musste.
War ich damals glücklich, als das Rauchverbot in Kneipen (und Restaurants) eingeführt wurde! Ein netter Abend mit Freunden bedeutete vorher immer gleich eine Ladung Wäsche, weil ich meine eigenen Klamotten nicht mehr riechen konnte. Die Haare konnte ich auch gleich mitwaschen. Das ist heute anders. Aber nicht immer.
Es ist einfach, Raucherkneipen zu vermeiden, wenn man nicht gerade in der Eckkneipe Bundesliga gucken will. Aber es gibt da noch eine deutsche Institution namens Biergarten, bequem gelegen an der gleichen Ecke wie meine Wohnung. Ein letzter Besuch vor dem Winter, ich bestelle Grüne Soße mit Ei, eigentlich ein frischer, kräuteriger Geschmack. Da kriecht von hinten ein stinkender, grauer Faden heran, ausgestoßen von seinem Erzeuger, auf der Suche nach dem nächsten Opfer, und steigt mir in die Nase.
Ich drehe mich um: Da, nur zwei Tische weiter, rauchen zwei andere Gäste Zigarretten. Okay, das dürfen die, wir sind hier ja im Freien. Aber Appetit habe ich keinen mehr. Und selbst an der frischen Luft muss ich mich zwingen, das ohne spitzen Kommentar in deren Richtung zu ertragen. Ich vermute, das nennt man dann Toleranz.
Flohwalzer zur Morgenstund'
von Franziska Fink, freie Mitarbeiterin bei evangelisch.de
Es ist kurz nach sechs und ich bin hellwach. Mit gespitzten Ohren und angehaltenem Atem warte ich unter meiner Bettdecke darauf, dass ich mich gleich wieder aufregen kann. Klimper, klimper und schon geht es los: Für Elise, der Flohwalzer und die Tonleiter. Repertoire und Können der Nachbarstochter sind auch nach mehreren Monaten Klavierunterricht nicht gerade berauschend, aber ihrer Begeisterung am morgendlichen Musizieren scheint das keinen Abbruch zu tun. Und so bin ich mal wieder in nullkommanix auf 180 und fluche leise vor mich hin.
Warum ich monatelang so "tolerant" war, die frühmorgendliche Katzenmusik zu ertragen, frage ich mich bis heute. Vor allen Dingen weil die Lösung zum Schluss so einfach war: Eines Tages fasste ich mir ein Herz und wies meinen Nachbarn höflich auf das störende Klavierspiel hin. Der fiel aus allen Wolken – ihm war gar nicht klar, dass man das so deutlich hören konnte, entschuldigte sich und seitdem wache ich morgens in himmlischer Ruhe auf.
Warum also war ich viel zu lange so tolerant gewesen? Vielleicht weil ich mich zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben bei meinen Nachbarn beschweren musste und das reichlich uncool fand. Oder auch weil ich Angst hatte, das sonst recht gute nachbarschaftliche Verhältnis zu strapazieren. Egal was es war – aus falscher Toleranz zu schweigen und den Ärger in sich zu vergraben, das wird mir nicht mehr so schnell passieren.