Worms ist ein guter Ort, um über Toleranz zu sprechen. Hier musste sich Martin Luther im April 1521 vor Kaiser und Kirche verantworten, und mutig stellte er sein eigenes Gewissen über den Gehorsam vor weltlichen und religiösen Mächten. Niemand könne ihm vorschreiben, was Glaube sei, er müsse ihn sich ganz allein erringen: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Gott helfe mir, Amen!" Auch wenn diese Sätze wohl nicht historisch sind, war damit die Frage nach der Freiheit gestellt – und nach der Toleranz gegenüber dem Anderen, dem Abweichler, dem Störenfried.
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Luther selbst war alles andere als tolerant, das wurde bei der Eröffnung des EKD-Themenjahres "Reformation und Toleranz" von mehreren Rednern unterstrichen. Die Ausfälle des Wittenbergers gegen "Papisten", Täufer, Juden gehören zu den Nachtseiten und zum schweren Erbe des Protestantismus. "Aber", so sagte Lutherbotschafterin Margot Käßmann in ihrer Predigt, "die Kirche der Reformation sollte sich ja ständig weiter reformieren." Will heißen: Auch wenn das Thema Toleranz in der Reformationszeit keine große Rolle spielte, heute ist es wichtig.
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Von einer evangelischen "Lerngeschichte" sprach denn auch der sächsische Landesbischof Jochen Bohl, der das Themenjahr als stellvertretender EKD-Ratsvorsitzender eröffnete. Heute liege die Herausforderung vor allem darin, Toleranz nicht nur zwischen den Konfessionen zu pflegen, sondern interreligiös. Dem pflichtete Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bei, der in seinem Festvortrag zum Thema "Entwicklung von Identität und Toleranz als ständige kulturelle Herausforderung" sprach. Toleranz, so der Minister, habe auch ihre Grenzen. Als Beispiele nannte er Zwangsheirat oder Genitalverstümmelung.
Verschiedene Positionen ertragen
Aktuelle religionspolitische Diskussionen griff auch Käßmann auf, die zu einem Text aus dem Galaterbrief predigte, in dem es um die Frage der Beschneidung geht. Energisch warb die frühere Bischöfin für den pluralen Charakter der Kirche und für das Recht, sich nicht immer gleich auf eine Seite schlagen zu müssen. Die Christen seien gefordert, selbst zu denken. Bestandteil evangelischer Lehre sei, den "Streit um die Wahrheit" auszuhalten und auch verschiedene Positionen zu ertragen, so die Theologin. Auch das hat mit Toleranz zu tun: Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Dulden, Ertragen".
Worms ist nicht nur für das Thema Toleranz ein guter Ort, sondern auch als Lutherstätte. Hier steht das weltweit größte Reformationsdenkmal, hier steht mit der Magnuskirche das älteste evangelische Gotteshaus in Südwestdeutschland. Die Erinnerung an die Reformation wird vorbildlich gepflegt, nicht im jüngst eröffneten Laden "Beim Luther", der Sinnsucher wie Touristen anzieht. Im April nächsten Jahres gibt es erstmals die "Wormser Religionsgespräche". Nicht zuletzt weist die Stadt darauf, dass das Reformationsjubiläum mit dem Jahr 2017 nicht zu Ende ist: 2021 jährt sich der Wormser Reichstag zum 500. Mal.