Flüchtlinge in Deutschland müssen mit 224,97 Euro im Monat auskommen. Das sind 40 Prozent weniger, als ein alleinstehender Erwachsener an Hartz-IV-Leistungen erhält. Ob diese Summe zur Deckung des im Grundgesetz geschützten menschenwürdigen Existenzminimums ausreicht oder ob sie verfassungswidrig ist, darüber wird am Mittwoch, dem Internationalen Tag des Flüchtlings, das Bundesverfassungsgericht verhandeln (Az.: 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Auf dem Prüfstand steht das seit November 1993 geltende Asylbewerberleistungsgesetz. Ein Urteil werden die Karlsruher Richter vermutlich nach der Sommerpause verkünden.
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Geklagt haben ein kurdischer Flüchtling aus dem Irak, der 2003 nach Deutschland kam, und ein heute elfjähriges, aus Liberia stammendes Mädchen, das mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Beide tragen vor, dass die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gewährte Unterstützung viel zu niedrig sei und sie davon nicht leben könnten.
Als Erwachsener erhielt der Iraker Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 224,97 Euro monatlich. Dies beinhaltete ein Taschengeld von 40,90 Euro, der Rest entfiel auf Gutscheine für Lebensmittel, Kleidung und die Stromkosten der Unterkunft. Das Mädchen bekam noch weniger: erst 132,93 Euro und zuletzt 178,95 Euro monatlich.
Gericht hält Regelsätze für verfassungswidrig
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen hielt diese Regelsätze in beiden Fällen für "evident unzureichend" und damit für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe außerdem den Bedarf der Flüchtlinge nicht transparent und nachvollziehbar ermittelt. Diese Anforderung ergebe sich aber aus dem Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (Az.: 1 BvL 1/09).
In einer Großen Anfrage der Fraktion "Die Linke" an die Bundesregierung vom 10. November 2010 räumte das Bundessozialministerium ein, dass die Festsetzung der Hilfeleistung im Asylbewerberleistungsgesetz "nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts" entspricht. "Passiert ist seitdem aber nichts. Es handelt sich hier um eine Diskriminierung per Gesetz", kritisiert Marei Pelzer, rechtspolitische Sprecherin der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl. Seit 1993 erhielten Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge und geduldete Flüchtlinge die im Verhältnis zur Sozialhilfe deutlich niedrigeren Grundleistungen.
Erst nach vier Jahren Grundleistungsbezug könnten sogenannte Analogleistungen beantragt werden, die in etwa der Sozialhilfe entsprechen. "Die Grundleistungen sind auch nie an Preissteigerungen oder Inflationsrate angepasst worden", sagt Pelzer. Einen Grund hierfür gebe es nicht.
Diakonie: Sachleistungen abschaffen
Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bezeichnet die Regelsätze für Asylbewerber als viel zu niedrig und intransparent berechnet. "Es kann nur ein Existenzminimum für Menschen in Deutschland geben", sagte Diakoniechef Johannes Stockmeier. Dringend erforderlich sei auch, Sachleistungen in Form von Essenspaketen und Gutscheinen abzuschaffen. Die Diakonie warb zudem dafür, die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge zu verbessern, das einjährige Arbeitsverbot aufzuheben und den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern.
Auch weitere Hilfsorganisationen kritisieren die geltenden Regelungen. Marei Pelzer von Pro Asyl sagt, mit den niedrigen Leistungen sollen Flüchtlinge von der Einreise nach Deutschland abgeschreckt werden. Die bereits in Deutschland lebende Flüchtlinge sollten "motiviert werden", wieder auszureisen, argwöhnt sie. Der Staat sei aber nach dem Grundgesetz verpflichtet, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewähren. "Dabei handelt es sich nicht um ein Grundrecht für Deutsche, sondern um ein Menschenrecht, das für alle gilt", sagt Pelzer.