Der evangelische Polizeipfarrer Bernhard Goetz
Foto: epd-bild/ddp/Axel Schmidt
Der evangelische Polizeipfarrer Bernhard Goetz bei ein Trauerfeier für drei am 15.08.07 in Afghanistan getöteten deutschen Polizisten. Polizeiseelsorger bieten nicht nur beratende Gespräche im vertraulichen Rahmen, sondern begleiten Polizisten auch im Einsatz.
Bespuckt, beschimpft und ausgelacht: Polizisten brauchen Hilfe
Polizisten müssen sich beschimpfen lassen und Todesnachrichten überbringen, bei der Aufklärung von Verbrechen blicken sie in die Abgründe der menschlichen Seele. Polizeiseelsorger helfen ihnen dabei, das alles zu verarbeiten. Anlässlich der Jahrestagung der badischen Polizeiseelsorge berichtet Polizeipfarrer Bernhard Goetz von seiner Arbeit im Verborgenen.

Herr Goetz, wie sieht die Polizeiseelsorge in Deutschland aus?

Bernhard Goetz: In Baden gibt es für jede Polizeidirektion einen Pfarrer. Der hat seine Gemeinde, aber zwei Stunden pro Woche sind für die Polizeiseelsorge eingeplant. Das Wichtigste ist, da zu sein – nichts geht über Vertrauen. Oft ist es eine unspektakuläre Arbeit, die Polizisten kommen zu uns auf die Dienststelle oder besuchen uns in der Gemeinde. Aber wir machen auch Alltagsbegleitung und fahren im Streifenwagen mit. Wir bieten seelsorgerische Gespräche, Beratung, Begleitung – es ist eine Arbeit im Verborgenen.

Mit welchen Problemen kommen die Polizisten zu Ihnen?

Goetz: Weil wir in einem besonderen Vertrauensverhältnis stehen, wird es schnell existentiell. Da geht es um Angst, um Tod, um den Umgang mit erlittener Gewalt. Die Polizisten müssen mit enormen Belastungen fertig werden. Denken Sie zum Beispiel an Demonstrationen wie Stuttgart 21. Da steht der Polizist, wird bespuckt und beschimpft, geschlagen und ausgelacht. Dann haut er drauf. Obwohl er keine Gewalt will, obwohl er eigentlich auch gegen Atomkraft oder den neuen Bahnhof ist, obwohl er auf der Seite der Hausbesetzer steht. Aber er hat für Ordnung zu sorgen und den Staat zu vertreten. Seine Meinung ist egal.

"Polizisten wollen keine Solidarität. Sie wollen Kritik."

Wie unterscheidet sich die Seelsorge von der psychologischen Betreuung?

Goetz: Die Seelsorger sind für alles da, für persönliche Probleme genau so wie für schreckliche Erlebnisse im Dienst. Da ist das Zeugnisverweigerungsrecht eine große Chance, Gespräche in geschütztem Rahmen zu führen. Es gibt sehr gute Polizeipsychologen, aber da weiß der Polizist immer: „Der gehört zu uns.“ Der Polizeipfarrer hingegen gehört zur Kirche und nicht zur Polizei. Da entsteht ein anderes Vertrauensverhältnis.

Fällt es Polizisten schwer, über ihre Probleme zu reden?

Goetz: Da ist jeder anders. Aber ich als Pfarrer warte einfach auf Vertrauen. Wenn ich einmal was Dummes sage, bin ich weg vom Fenster, das ist klar. Die wollen auch nicht Solidarität mit allem, was sie verbocken, ganz bestimmt nicht. Sie wollen Kritik. Klare, scharfe Kritik, die auf dem Verständnis für ihre Situation fußt.

Wie erwerben Polizeipfarrer dieses Verständnis, brauchen sie eine spezielle Ausbildung?

Goetz: Der Polizeiseelsorger hat als Pfarrer eine gute seelsorgliche Ausbildung. Darüber hinaus sind der Kontakt und das Wissen um die Zustände in der Polizei sehr wichtig. Daher gehen wir auch immer wieder mit den Polizisten auf Streife und erfahren so mehr über ihr Leben.

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Sie arbeiten seit zwanzig Jahren als Polizeipfarrer. Was hat sich in dieser Zeit geändert?

Goetz: Die Ausbildung der Polizei ist sehr viel besser. Früher waren Polizisten zum Beispiel oft überfordert mit dem Überbringen von Todesnachrichten. Heute lernen sie in der Ausbildung und in Fortbildungen ganz genau, wie sie da am besten vorgehen. So können sie in dieser grausamen Situation so menschlich und klar wie möglich bleiben. Auch das Ansehen der Polizei hat sich sehr geändert. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind ganz anders, die Nähe zum Bürger ist größer. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen heute selbstverständlicher und respektvoller mit Polizisten umgehen.

Studien berichten aber von einer zunehmenden Gewalt gegen Polizisten...

Goetz: Natürlich erfahren Polizisten häufig Gewalt. Aber bei der Gesamtbevölkerung ist die Polizei heute besser angesehen als früher. Die Medien berichten eben lieber über Skandale, wie bei S 21. Wenn der alte Mann dem jungen Polizisten ins Gesicht spuckt – das ist das, was die Medien sehen wollen.

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Was raten Sie den Polizisten für den Umgang mit Gewalt?

Goetz: Wenn ich bei dem Vorfall dabei war, können wir darüber reden. Ansonsten will ich nicht der Lehrmeister sein. Nehmen wir zum Beispiel den Amoklauf in Lörrach. Ich kann nicht zu den Polizisten gehen und sagen: „Ihr habt die Frau erschossen? Aber sie hat doch ein Recht auf Leben!“ Nein, ich muss den Polizisten sagen „Ihr hattet keine Wahl. Die Frau hatte so viel Munition, dass sie nicht aufgehört hätte. Hinter der nächsten Tür lag eine schwangere Frau. Ihr musstet schießen. Kein Vorwurf.“ Aber meistens spreche ich die Polizisten sowieso nicht darauf an, sondern warte, bis sie von alleine anfangen. Ich sage lieber „Habt ihr was zu essen, wollt ihr einen Kaffee? Soll ich euch mein Handy leihen, damit ihr jemanden anrufen könnt?“ So könnte die erste Begegnung oder Erstbetreuung aussehen, die Polizisten nach einem schlimmen Vorfall brauchen.

Welche Vorfälle machen den Polizisten am meisten zu schaffen?

Goetz: Es gab so viele. Ein Polizist ist mal halb durchgedreht, weil er ein totes Mädchen gesehen hat, das das gleiche T-Shirt trug wie seine Tochter, sogar die gleiche Frisur. Das hat ihn nicht mehr losgelassen. Oder schlimm war es auch für die Polizisten und Polizistinnen in Überlingen, die Leichen von Kindern bewachen mussten. Nachdem dort zwei Flugzeuge zusammengestoßen waren, lagen überall Leichen, viele davon Kinder. Die Polizisten mussten sich danebenstellen und aufpassen, bis die Auswerter kamen.

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Wird nach solchen Fällen genug gegen Posttraumatische Belastungsstörungen bei Polizisten getan?

Goetz: Hundertprozentig kann man das nie abdecken. Aber es wird sehr viel getan, die Polizei hat dazugelernt und lässt ihre Männer mit ihren Problemen nicht alleine. Es gibt Burnout-Seminare und intensive psychologische und seelsorgerische Betreuung nach schlimmen Erlebnissen. Aber man muss den Polizisten auch die Freiheit gewähren, alleine zu entscheiden, wie sie alles verarbeiten. Manche wollen einfach nur mit ihrer Familie zusammen sein.