###mehr-artikel###
Lesben und Schwule haben lange um einen Platz in der Gesellschaft und Kirche kämpfen müssen. Jährlich erinnert der Christopher Street Day (CSD) an den Aufstand von Homosexuellen gegen die Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Stadtviertel Greenwich Village. In den Morgenstunden des 28. Juni 1969 fand in der Bar Stonewall Inn der Aufstand mit anschließend tagelangen Straßenschlachten statt, als es erneut gewalttätige Razzien durch die Polizei gegeben hatte. In Erinnerung daran hat sich in vielen Städten eine jährliche Großveranstaltung entwickelt: Zwischen Straßenparade, Party, Diskussionsrunden und Demonstration wird die Vielfalt gleichgeschlechtlichen Lebens öffentlich gezeigt.
Homosexuelle Menschen gehören mittlerweile zur Lebensrealität nicht nur von Großstädten, sondern auch auf dem Land. "Ihre Akzeptanz ist allerdings noch nicht durchgängig gegeben", sagt Pfarrer Peter Annweiler von der CityGemeinde Hafen-Konkordien in Mannheim und ergänzt: "Wenn nun mit dem CSD dieses Thema in die Stadt getragen wird, verhalten auch wir als Kirche uns dazu: Nämlich einladend. Es geht uns darum, schwule und lesbische Christen wahrzunehmen und als Bereicherung der Kirche willkommen zu heißen." In Großstädten wie Köln, Frankfurt oder München seien ökumenische Gottesdienste zum CSD seit langem selbstverständlich.
"Homosexuelle Christen wollen Verantwortung übernehmen"
"Vordergründig mag es so aussehen, als bewege sich die Schwulen- und Lesbenbewegung mit ihrem Christopher-Street-Day in völlig anderen Milieus als sie in der Evangelischen Kirche zu finden sind. Aber das täuscht", sagt Oberkirchenrat Matthias Kreplin von der evangelischen Landeskirche Baden. Er macht darauf aufmerksam, dass es in der Kirche homosexuell orientierte Menschen gibt, die bewusst als Christen leben und in der Kirche Verantwortung übernehmen wollen. Allerdings gäbe es innerhalb der evangelischen Kirche auch eine breite Strömung, die unter Bezugnahme auf einige biblische Traditionen Homosexualität gegenüber kritisch eingestellt ist. "Hier wird es noch intensive Gespräche über das Verständnis der Bibel brauchen und auch die Begegnung mit homosexuell orientierten Menschen, um zu gemeinsamen Positionen innerhalb der evangelischen Kirche zu kommen", sagt Kreplin.
Auch damit Lesben, Schwule und Kirche zu einander finden, hat sich bereits vor über 35 Jahren die ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) auf dem Evangelischen Kirchentag in Berlin gegründet. "Sie ist in Deutschland die älteste und größte christliche Gruppe für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle", sagt Markus Gutfleisch, Pressesprecher von HuK. Die Mitglieder träten in den Kirchen für die volle Akzeptanz von Homosexuellen ein. Gleichzeitig sei es ihnen wichtig, in ihrem Alltag als christliche Lesben und Schwule wahrgenommen zu werden, die aus dem Glauben an den befreienden Gott Kraft schöpften und die trotz mancher Verletzungen mit der christlichen Gemeinschaft, die sich Kirche nennt, verbunden seien. Auf dem CSD sind sie teilweise mit einem Stand vertreten, beteiligen sich bei der CSD-Parade und auch fast immer an einen Gottesdienst, um sichtbar zu werden.
Viele Gemeinden öffnen ihre Türen für Lesben und Schwule
Die Resonanz bezeichnet Gutfleisch als gut: "Für den einen oder die andere sind solche Begegnungen und Gottesdienste für lange Zeit die einzige Berührung mit Kirche. Kämpfen, Feiern und Beten, das gehört für die HuK und die befreundeten Gruppen zusammen. Wenn sich ein Gespräch mit Menschen entwickelt, die von Kirche frustriert sind, nehmen wir ihre Erfahrungen ernst, nutzen aber auch die Gelegenheit, von unseren Erfahrungen zu erzählen und Stellung zu der Frage zu nehmen, warum wir noch in der Kirche sind und dort mitmachen." Viele Gemeinden hätten die Tür für feiernde Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle bereits geöffnet, zieht Gutfleisch Bilanz und fordert: "Symbolische Gesten tun gut, müssen aber, wenn sie ernsthaft gemeint sind, Konsequenzen nach sich ziehen. Synoden und Kirchenleitungen können sich gegen Ausgrenzung und für gleiche Rechte positionieren, sowohl während des CSDs als auch das ganze Jahr über."
In den ökumenischen Gottesdiensten auf dem CSD gibt es Lieder, Gebete, Lesungen und eine kreativ gehaltene Verkündigung. Besonders sei aber schon die selbstverständliche Anwesenheit von homosexuellen Christen, die sich sicher sein dürfen, willkommen zu sein, erzählt Peter Annweiler. "Das Kapitel 'Diskriminierung von Homosexuellen' gehört leider noch nicht überall der Vergangenheit an, so dass es für viele wohltuend ist, wenn in einem Gottesdienst ihre Lebenswirklichkeit angesprochen wird." Dem Pfarrer ist bei diesen Gottesdiensten vor allem ein Bezug zu den Ursprüngen des CSD wichtig: "Da haben Menschen sich beim Stonewall-Aufstand von 1969 nicht wieder ins Verborgene schicken lassen, sondern sind auf einen Befreiungsweg gegangen. Dieser Weg hat für mich eine innere Parallele zum biblischen Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft. Kirche sollte das ganze Jahr über daran erinnern, dass jede Befreiung aus der Unterdrückung biblisch begründet ist und die Unterdrückungsgeschichte homosexueller Menschen ein Unrecht ist."
Homosexuelle erwarten ein Schuldbekenntnis der Kirche
Annweiler fügt hinzu: "Sicher haben sich viele Homosexuelle von den christlichen Kirchen abgewandt. Aber aus meiner gemeindlichen und seelsorgerlichen Tätigkeit weiß ich, wie vielen Betroffenen eine spirituelle Begleitung ihres Weges durch die Kirche wichtig ist. Immer noch sind die Wunden einer langjährigen Verachtungsgeschichte nicht vollständig verheilt. Gerade die Resonanz auf CSD-Gottesdienste zeigt mir, dass es viele lesbische und schwule Christen gibt, für die es noch lange nicht selbstverständlich ist, offen in ihrer Gemeinde zu leben. Viele erwarten auch ein Schuldbekenntnis der Kirche, an der Diskriminierung von homosexuellen Menschen mitgewirkt zu haben."
So steht beispielsweise in Lübeck der CSD in diesem Jahr unter dem Motto: "Rettungsschirm für Gleichstellung" und macht darauf aufmerksam, dass weltweit Menschen, die schwul, lesbisch, transsexuell oder intersexuell sind, leben und lieben, aber dennoch nicht die gleichen Rechte wie heterosexuelle Menschen haben. In ihrem CSD-Gottesdienst soll die Klage darüber offen aussprechen und im Gebet vor Gott gebracht werden. Auch soll es die Möglichkeit geben, sich individuell durch Pastorin Ragni Mahajan (Christuskirche Pinneberg) oder Pastor Matthias Stahlschmidt (Auferstehungsgemeinde Lübeck) mit Salböl segnen zu lassen und sich zusprechen zu lassen: "So spricht Gott, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir. Deswegen nimm hin das Zeichen des Kreuzes, dass du gesegnet bist von deinem Gott. Geh hin in Frieden und fürchte dich nicht, Gott ist mit dir wohin du auch gehst."
In Frankfurt am Main gibt es den "frömmsten" aller CSDs
Der "frömmste" aller CSDs in Deutschland werde in Frankfurt am Main gefeiert, sagt Nulf Schade-James mit einem Augenzwinkern, Pfarrer der Evangelische Kirchengemeinde Frieden und Versöhnung in Frankfurt am Main. Schließlich finden dort gleich drei Gottesdienste statt. Seine Kirchengemeinde zeichne sich dadurch aus, bereits seit Anfang der 1990er Jahre lesben- und schwulenfreundlich zu sein. Die Gemeinde ist bereits seit Jahren auf dem Frankfurter CSD dabei, im vergangenen Jahr sogar mit einem eigenen Wagen auf der Parade. In diesem Jahr will er mit Mitgliedern aus seiner Gemeinde mit einem großen Regenbogentuch und einem Bollerwagen für die Kinder aus Regenbogenfamilien wieder mitlaufen und Flagge zeigen.
"Die Polizei, die Gewerkschaften, die politische Parteien sind auf dem CSD vertreten. Nur die Landeskirche hat keinen Stand, wo Menschen sich informieren können und vielleicht auch verstehen, dass sich evangelische Kirche hier verändert hat: Segnungen, Heirat und Wiedereintritte sind möglich. Da verpasst unsere Kirche gerade was", sagt Schade-James und fügt hinzu: "Mir ist wichtig, dass zu sehen ist, dass Kirche auf dem CSD präsent ist. Deswegen laufen wir auch mit der EKHN-Fahne." Er fordert, dass Segnungen oder Hochzeiten genau wie die heterosexuellen Hochzeiten in die Kirchenbücher eingetragen werden. Das sei bislang noch immer nicht der Fall. Der Pfarrer fordert: "Kirche muss endlich Farbe bekennen und auch auf dem CSD präsent sein."
Einige kirchliche Termine auf dem CSD 2012 im Überblick:
22. Juni, Berlin: Um 18.30 Uhr findet in der St. Marienkirche unter dem Fernsehturm ein Gottesdienst unter dem Motto "Rausch der Sinne" zum CSD statt. Predigt: Superintendent Dr. Bertold Höcker, Pfarrer Gregor Hohberg, Grußwort: Regierender Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, Orgel: Martina Kürschner sowie ein Team aus Schwulen und Lesben, die diesen Gottesdienst zusammen mit Vertretern des LSVD vorbereiten. St. Marienkirche, Karl-Liebknecht-Straße 8 in Berlin. Homepage: CSD Berlin, Motto: "Wissen schafft Akzeptanz".
29. + 30. Juni, Bielefeld: Unter dem Motto "Grenzen: Annehmen. Bewahren. Überwinden." findet um 19 Uhr in der Neustädter Marienkirche ein Gottesdienst statt, organisiert von Homosexuelle und Kirche (HuK) e.V. Regionalgruppe Bielefeld. Neustädter Marienkirche Bielefeld, Papenmarkt 10 in Bielefeld. Am 30. Juni hat die Huk auf dem Straßenfest einen Informationsstand. Homepage: CSD Bielefeld, Motto: "Liebe ohne Grenzen. Lesbisch und schwul in allen Kulturen".
7. Juli, Köln: Thema im Gottesdienst, der um 18 Uhr anfängt, wird die Schauspielerin und das kölsche Original Trude Herr sein. Trude Herr wurde am 4. Mai 1927 in Köln Kalk geboren und wäre in diesem Jahr 85 Jahre alt geworden. Antoniterkirche, Schildergasse 57 in Köln. Homepage: Cologne Pride, Motto: "Ja, ich will!".
14. Juli, München: Um 10 Uhr findet ein ökumenischer Gottesdienst in St. Lukas am Mariannenplatz in München statt. Homepage: CSD München, Motto: "Fight for global rights - Solidarität kennt keine Grenzen".
20. Juli, Frankfurt am Main: Ökumenischer Gottesdienst um 20 Uhr in der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz 1 in Frankfurt am Main. Homepage: CSD Frankfurt, Motto: "Eckstein, Eckstein, musst Du noch versteckt sein?"
21. Juli, Frankfurt am Main: Ökumenischer Gottesdienst, veranstaltet von der Projektgemeinde Frankfurt, um 18 Uhr in der Gethsemanekirche, Eckenheimer Landstraße 90 in Frankfurt am Main.
22. Juli, Frankfurt am Main: Um 15 Uhr findet ein ökumenischer Gottesdienst für die vielen in Folge der Krankheit Aids Verstorbenen statt. Dom, Domplatz 1 in Frankfurt am Main.
21. und 22. Juli, Frankfurt am Main: Informationsstand der HuK Frankfurt und der Projektgemeinde Frankfurt mit anderen Initiatoren auf dem "Basar der Vielfalten" in der Großen Friedberger Straße auf dem CSD.
27. Juli, Stuttgart: Um 20 Uhr findet ein ökumenischer Gottesdienst unter dem Motto "Gleichberechtigt, gleichbeschäftigt – gilt das auch für uns?" unter der Leitung von Eckhard Ulrich statt. Leonhardskirche, Leonhardsplatz 1 in Stuttgart. Homepage: CSD Stuttgart, Motto: "Gleichbeschäftigt".
5. August, Nürnberg: Um 11.30 Uhr findet ein ökumenischer Gottesdienst in der in der St.-Jakobs-Kirche am Jakobsplatz in Nürnberg statt.
11. August, Mannheim: Um 19 Uhr findet unter dem Motto "fairplay!" ein ökumenischer Gottesdienst in der Citykirche Konkordien in Mannheim statt: Homepage: CSD Rhein-Neckar.
17. August in Lübeck: Der CSD-Eröffnungsgottesdienst unter dem Motto "Schaffe mir Recht, Gott!" fängt um 19 Uhr an: Ev.-Luth. Auferstehungskirche, Marliring 1 in Lübeck. Homepage: Lübeck Pride, Motto: "Rettungsschirm für Gleichstellung".
17. August in Magdeburg: Um 18 Uhr gbit es eine CSD-Andacht in der Hoffnungsgemeinde in Magdeburg. Homepage: CSD Magdeburg, Motto: "Mach's mit uns!".
24. August, Siegen: Unter dem Motto "Wir sind, was wir sind? Kinder Gottes" findet am Freitag, 24. August, ab 19.30 Uhr in der evangelischen Martini-Kirche in Siegen ein ökumenischer Gottesdienst zum CSD statt. CSD Siegen: Motto: "Flagge zeigen".
Weitere CSD-Termine 2012 im Überblick.