Von höchster Stelle in einem Schnellverfahren mit einem deutschen Pass ausgestattet, stand Sean Dundee vor 20 Jahren kurz vor der Erfüllung seines Lebenstraums. Doch der Karrieretraum zerplatzte. Im Juni 2012 sitzt Sean Dundee im Wohnzimmer seiner Eltern in Durban, Südafrika, und erzählt per Videotelefonat von seinem Leben und dass er soeben vom Training seiner neu gegründeten Fußballschule gekommen sei. Schon vor der ersten Frage beginnt er von den talentierten südafrikanischen Nachwuchsfußballern zu schwärmen.
Sean Dundee: Für die Kinder hier ist die Vorstellung ziemlich schwer, irgendwann mal in Deutschland zu spielen zu können. Vielleicht kann ich ein paar Türen öffnen, wenn sie das Talent besitzen.
Im Internet werben sie für ihre Fußballschule, indem sie schreiben: "Ich möchte Kindern bei der Realisierung ihrer Träume helfen. So wie es mir gelungen ist." Sicherlich haben sie in ihrer aktiven Zeit nicht alles richtig gemacht. Welche Fehler sollen ihre Nachwuchsfußballer nicht wiederholen?
Dundee: Das waren ziemlich viele. Wenn ich in der Zeit zurückgehen könnte, würde ich wahrscheinlich ein ganz anderer Spieler werden. Dann würde ich es wahrscheinlich viel weiter schaffen.
Worauf sollen die Kinder konkret achten?
Dundee: Die Kinder müssen sich viel Zeit nehmen und dazu bereit sein, vor und nach dem Training Extraschichten einzulegen. Das musste ich auch lernen. Am Anfang bin ich lieber mal mit Freunden ausgegangen.
Was noch?
Dundee: Man sollte nicht allen Leuten vertrauen.
"Wenn du jetzt aufgibst, bereust du das dein Leben lang"
Vertraut hat Sean Dundee zu Beginn seiner Karriere sehr vielen Leuten. Beinahe naiv gelang es dem gebürtigen Südafrikaner nicht immer, Freunde und reine Geschäftsbeziehungen zu unterschieden. Er berichtet von Beratern, die ihn aus rein wirtschaftlichem Interesse möglichst schnell von Verein zu Verein verkaufen wollten.
Sean Dundee heute. Foto: privat
1992, mit 19 Jahren, wechselte der junge Stürmer nach Deutschland zum Zweitligisten Stuttgarter Kickers. Zu Beginn nahm er meist auf der Bank Platz, entschied sich zu einem Wechsel in die Regionalliga und wurde dort nach einer erfolgreichen Saison 1995 zum Karlsruher SC in die 1. Bundesliga transferiert.
Mit welchen Gefühlen sind sie in Ihre erste Saison in der höchsten deutschen Spielklasse eingestiegen?
Dundee: Fußball war mein Leben. Zu der Zeit haben Klinsmann, Häßler und weitere Weltmeister von 1990 in Deutschland gespielt. Von denen hatte ich als Kind Poster an meiner Wand hängen. Ich habe aber nur gedacht, das wird jetzt alles sehr schwer. Allein die neue Sprache!
Haben Sie sich zu Beginn bei den Stuttgarter Kickers einsam gefühlt?
Dundee: Wir haben schlecht gespielt, und ich wurde nur selten eingesetzt. Nach meinem ersten Heimaturlaub im sommerlichen Durban bin ich im Winter nach Stuttgart zurückgekehrt. Damals habe ich mich alleine gefühlt und dachte, das halte ich nicht mehr aus. Der kleine Mann in mir meinte aber: Wenn du jetzt aufgibst, bereust du das dein Leben lang. Ich habe gemerkt: Ich muss es ein paar Jahre probieren und richtig Gas geben.
Fremder im eigenen Land
Mit 33 Treffern in zwei Spielzeiten beim Karlsruher SC weckte der Südafrikaner in seinem Heimatland Begehrlichkeiten. Im Dezember 1995 stand er für ein Testspiel im Kader der Bafana Bafana, der südafrikanischen Nationalmannschaft. Der damalige Gegner: Deutschland.
Dundee: Es war für mich eine große Ehre. Als mir dann jemand gesagt hat, dass ich nicht spielen soll, weil ich vielleicht noch für Deutschland auflaufen könnte, habe ich mich gegen einen Einsatz entschieden.
Beim Aufwärmen haben sie eine Verletzung vorgetäuscht und wurden nicht eingesetzt.
Dundee: Ich war leicht verletzt. Wahrscheinlich hätte ich auch spielen können. Ich wollte aber lieber abwarten und noch nicht für Südafrika spielen. Ich bin dort als Außenseiter in die Mannschaft gekommen. Die Jungs waren wie eine Familie, hatten schon lange zusammengespielt. Für die war ich ein Spieler aus Deutschland, der bei uns Tore machen soll. Die meisten waren nicht glücklich, als sie mich gesehen haben.
"Bei der deutschen Nationalmannschaft - das war mehr als ein Traum"
Zunächst schien sich Dundees Entscheidung als richtig zu erweisen. Der Sturm in der deutschen Nationalmannschaft war überaltert, und junge neue Stürmer wurden dringend gesucht. Der DFB entschied sich erstmals in der Geschichte des Verbandes, Spieler für das A-Team einzubürgern und fand bei der Umsetzung prominente Unterstützer.
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Der damalige Innenminister Manfred Kanther sah die Chance, sein Image in der Bevölkerung aufzubessern und drückte öffentlichkeitswirksam Sean Dundees Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft nach einem halben Jahr durch. "Herzlich willkommen!", gratulierte "Bild". Im Februar 1997 sollte Sean Dundee unter Bundestrainer Berti Vogts sein Debüt feiern.
Dundee: Bis dahin war es eines der schönsten Gefühle, die ich jemals gehabt habe - eine Einladung zur deutschen Nationalmannschaft. Das war mehr als ein Traum. Aber am Wochenende zuvor habe ich mich im Spiel gegen Stuttgart verletzt und weitergespielt. Das war das Schlimmste, was ich überhaupt machen konnte. Nach dem Spiel konnte ich kaum noch gehen. Am nächsten Tag war ich im Nationalmannschaftshotel und der Trainer hat mich zum Doc geschickt.
Berti Vogts hatte Ihnen schon öffentlich einen Einsatz von Spielbeginn an versprochen.
Dundee: Ja. Dann kam der DFB-Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt ins Hotel und hat meinen Einsatz absolut ausgeschlossen. Das war schlimmer als meine Niederlage im Pokalfinale oder den Torschützentitel am letzten Spieltag knapp zu verpassen. Das hat mich richtig getroffen.
Am Ende standen sie dreimal im Kader, wurden aber nie eingewechselt.
Dundee: Ich hätte einfach gerne ein Spiel für Deutschland gemacht. Nach meiner ersten Verletzung habe ich gedacht, dass ich es noch schaffe und es immer wieder probiert. Leider hatte ich dann zu viele Verletzungen, die mich ausgebremst haben. Am Ende gab es keine Gelegenheit mehr, für die Nationalmannschaft zu spielen.
Fair zum unfairen Reporter
An den Erfolg der ersten Jahre im Fußball-Oberhaus konnte Dundee danach nie wieder anknüpfen. Zahlreiche Verletzungen und Motivationslöcher folgten. Im Rückblick möchte der heute 39-Jährige nicht von einer gescheiterten Karriere sprechen. Er sucht in allen Rückschlägen immer noch etwas Positives und berichtet von der Auseinandersetzung mit einem Boulevardreporter.
Dundee: Es gab jemanden von der "Bild"-Zeitung, der nach dem Training auf mich wartete und meine privaten Telefonrechnungen in der Hand hatte. Er wusste genau, mit wem ich wann gesprochen habe. Der Typ hat mich am Anfang großgeschrieben, und später hat er mich zerstört. Solange die Medien aber fair waren, habe ich mit ihnen nie ein Problem gehabt.
Die Aktion des "Bild"-Reporters war gewiss nicht fair. Haben sie dagegen nichts unternommen?
Sean Dundee: Wenn jemand etwas Böses macht und ich merke, dass es ihm leidtut, dann ist es für mich vorbei. Ich bin nicht nachtragend. Später ist dieser Reporter richtig übel krank geworden. Da habe ich ihn im Krankenhaus angerufen und gute Besserung gewünscht. Er war total überrascht und hat sich bedankt.
Im Spitzensport können über Nacht Stars geboren werden. Nicht minder rasant können vermeintliche Hoffnungsträger scheitern. Sean Dundee bleibt ein Fußballer, der sportlich oft kurz vorm Ziel gescheitert ist. Zweimal Vize-Torschützenkönig, Vize-Pokalsieger, fast Nationalspieler. Trotzdem wirbt er bei Nachwuchstalenten für die "Realisierung von Träumen" - und ist dem Fußball treu geblieben.