Foto: dpa / How HweeYoung
Chinesische Christen bei einer Weihnachtsmesse in der Xishiku-Kathedrale, der größten katholischen Kirche in Peking.
In Peking ist Beten unter freiem Himmel verboten
Die Christen der Shouwang-Kirche in Peking verstecken sich nicht mehr. Weil sie kein Versammlungshaus bekommen, treffen sie sich auf einem öffentlichen Platz - und gehen dafür ins Gefängnis.
15.06.2012
epd
Ruth Fend

Sonntagmorgens um sieben schläft Pekings Universitätsviertel Haidian noch. Nur die Ränder und Parkanlagen des weitläufigen Zhongguancun-Platzes sind dicht bevölkert - mit Hunderten von Polizisten, viele in Zivil. Hin und wieder verständigen sie sich per Walkie-Talkie. Sonst herrscht gespenstische Stille. Passanten werden nicht durchgelassen. Die Polizisten warten. Irgendwann im Lauf der nächsten zwei Stunden werden die Christen kommen, jeder einzeln.

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Die Polizisten werden einen nach dem anderen festnehmen und in den weißen Bus setzen, der schon auf sie wartet. "Ich bin seit April Dutzende Male zu dem Platz gefahren - jedes Mal saß ich danach Gefängnis", sagt der 27-jährige Cong Li irgendwo in Peking. Seinen richtigen Namen will er lieber nicht veröffentlicht sehen.

Congs Vergehen ist, dass er der Shouwang-Kirche angehört. "Shouwang" heißt "wachend Ausschau halten". Es ist die älteste und mit rund 1.000 Mitgliedern die größte protestantische Hauskirche Pekings. Und das Vergehen der Gläubigen ist, dass sie versuchen, unter freiem Himmel zu beten. Jeden Sonntag, seit Ostern 2011. Damit verstoßen sie gegen das Verbot, die Religion außerhalb offiziell registrierter Stätten zu praktizieren. 

Schwieriges Verhältnis zu Kommunisten

Das Christentum boomt in China, auf bis zu 100 Millionen Menschen wird die Zahl der Gläubigen inzwischen geschätzt. Ihr Verhältnis zur offiziell atheistischen Kommunistischen Partei (KP) Chinas ist schwierig. Am liebsten würde die KP alle Gläubigen in den von ihr kontrollierten "Patriotischen Vereinigungen" sammeln. Doch die meisten Christen treffen sich lieber in Privatwohnungen oder Restaurants. Die Aktivitäten dieser Hauskirchen oder Untergrundkirchen sind so unübersichtlich wie ihre Zahl - über 3.000 soll es allein in Peking geben.

"Die Hauskirchen sind nicht legal. Aber unter einigen Bedingungen drückt die Regierung beide Augen zu: Sie müssen ihren Glauben still und leise praktizieren. Und Ausländer und Chinesen müssen strikt voneinander getrennt bleiben", sagt der Amerikanistikprofessor Paul Liu, der mit seinem selbst gegründeten Institut namens Pu Shi zu Religionen in China forscht.

Doch die Mitglieder von Shouwang wollen sich nicht mehr verstecken. Sie sind selbstbewusst, viele gehören zur Bildungselite und haben Geld. Die Kirche stellt ihre Predigten ins Netz, unterhält eine Bibliothek und eine Sonntagsschule. Nur ein fester Versammlungsort blieb ihr stets verwehrt. Sämtliche Vermieter setzte die Regierung unter Druck. Schließlich kauft die Gemeinde für umgerechnet 2,9 Millionen Euro ein Haus - doch sie bekommt den Schlüssel nicht. Intervention von oben.

Viele Selbstverbrennungen

"Bis wir keinen Ort bekommen, wo wir uns ungestört treffen können, gehen wir eben auf die Straße", sagt der 27-jährige Cong. Diese Art der offenen Machtprobe hat seit der Niederschlagung der Falun-Gong-Bewegung niemand mehr gesucht. Die Meditationsbewegung wurde 1999 verboten. Aus Protest gegen die Verfolgung steckten sich viele Mitglieder auf öffentlichen Plätzen in Brand.

Um den Machtkampf mit der Hauskirche zu gewinnen, betreibt die Regierung einen grotesken Aufwand: Neben den Wachen auf dem Platz werden ab Freitagabend die Wohnungen von rund 500 Gläubigen von Polizisten in drei Schichten überwacht - macht insgesamt 4.500 Mann. Doch die Christen werden höchstens zwei Tage festgehalten. "Die Sicherheitsleute sollen nur verhindern, dass wir am Sonntag auf dem Platz stehen", sagt Cong. "Sie wollen kein zweites Falun Gong."

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Die Shouwang-Anhänger haben gute Auslandsverbindungen, selbst im Inland wäre Gewalt gegen Christen höchst unpopulär. "Auch Parteimitglieder glauben an alle möglichen Religionen, das ist eine Tatsache", sagt Universitätsprofessor Li, der selbst eine kleine Hauskirche mit rund 20 Akademikern und Studenten betreibt. "Auch wenn die meisten von ihnen Buddhisten sind."

Die Sicherheitsbehörden seien des kraftraubenden Spiels müde, war sich Cong noch im Oktober sicher. "Sie müssen nur eine gesichtswahrende Lösung finden." Bis Weihnachten werde man auf den Platz kommen, danach sehe man weiter, hieß es weiter. Doch ihr Haus hat die Shouwang-Kirche noch immer nicht, die Lösung steht noch aus. Heute klingt Cong resignierter: "Es hat sich nichts geändert."