Foto: epd-bild/Norbert Neetz
Ein Haus-Projekt der Organisation Nabolok, unterstützt von "Brot für die Welt&quot".
Im Reich der Sintflut
Der Meeresspiegel steigt, die Zyklone werden heftiger: Bangladeschs bitterarme Menschen sind den Folgen des Klimawandels schutzlos ausgeliefert. Vielen Landbewohnern bleibt nur die Flucht in die Slums der Großstädte.
20.06.2012
epd
Stefan Fuhr

Einst hatte Muhammad Yusuf ein sicheres Einkommen: In Bhola, einer Insel im Ganges-Delta, war er Bauer, hatte vier Rinder und ein großes Haus aus Bambus am Fluss. Dann aber spülte Hochwasser seine Existenzgrundlage fort, riss die Uferböschung mit, auf der sein Land war. Heute wohnt der 28-Jährige mit seiner Familie in einer gemieteten Slum-Hütte in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka, arbeitet als Tagelöhner auf dem Bau. Er verdient umgerechnet 70 Euro im Monat.

"Der Klimawandel verschärft die Probleme, die das Land sowieso schon hat"

Wirbelstürme, Überschwemmungen, steigender Meeresspiegel - im bitterarmen Bangladesch zwingen Umweltveränderungen Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Die ohnehin häufig auftretenden Wetterextreme werden durch die Erderwärmung verstärkt: "Der Klimawandel verschärft die Probleme, die das Land sowieso schon hat, in einer Art und Weise, dass sie untragbar sind", sagt Cornelia Füllkrug-Weitzel, Direktorin des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt". Die Folgen der Umweltzerstörung für die Armen werden beim UN-Gipfel "Rio+20" vom 20. bis 22. Juni ein zentrales Thema sein.

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Yusufs Schicksal ist typisch. Nach einer Studie der Universität Dhaka verschlingen die zahlreichen Wasserläufe Bangladeschs die Unterkünfte von jährlich einer Million Menschen. Die Gletscherschmelze infolge des Klimawandels führt dazu, dass die Hochwasser-Pegel in der Monsun-Zeit höher geworden sind. "Die Erosion der Flussufer ist einer der Hauptgründe für die Flucht in die Städte", sagt Atiq Rahman, führender Klimaforscher in Bangladesch.

Wer sein Land verliert, gerät in höchste Not

Bangladesch ist extrem dicht besiedelt, jeder Quadratmeter vergeben: Rund 160 Millionen Menschen leben auf einer Fläche, die nur doppelt so groß ist wie Bayern. Für die meisten Migranten bleibt nur ein Zufluchtsort: Die großen Städte, vor allem der stetig wachsende Moloch Dhaka. Männer, Frauen und Kinder leben in Siedlungen wie Malibagh, Yusufs Elendsviertel. Der Slum ist auf einem mit Wassergraben errichtet, der mit Müll aufgefüllt wurde.

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Die Hütten stehen auf Pfählen, ein Gewirr schmaler Bambusstege verbindet die Unterkünfte von rund 5.000 Menschen. Yusuf will hier auf Dauer nicht bleiben. "Eines Tages will ich in meine Heimat zurückkehren", sagt der schmale Mann, der ein gelbes, zerschlissenes T-Shirt und einen bunten Männerrock trägt.

Große Hoffnung dazu besteht nicht, denn seine Heimat ist den Wassermassen ausgeliefert: Bhola liegt - so wie 17 Prozent der Gesamtfläche Bangladeschs - weniger als ein Meter über dem Meeresspiegel. Seit 1965 hat die Insel die Hälfte ihrer ursprünglich 64.000 Quadratkilometer Fläche verloren, weil das Wasser immer höher steigt. Eine Entwicklung, die nicht allein auf Klimawandel und Gletscherschmelze zurückzuführen ist: Die örtliche Plattentektonik bewirkt, dass die Region kontinuierlich absinkt. 

"Die Armen in Bangladesch wissen nichts von der Erderwärmung"

In der Folge gerät auch immer mehr Salzwasser in die Flussläufe, die Böden versalzen und tragen immer weniger Frucht, Trinkwasser wird knapp. Hinzu kommt, dass Indien in der Trockenzeit den Mittelläufen der großen Flüsse Wasser entnimmt. "Dadurch kann das Salzwasser in Bangladesch leichter vordringen", erläutert der ARD-Wetterexperte Sven Plöger, der Bangladesch bereist hat. Nötig sei eine bessere Abstimmung über die Landesgrenzen hinweg, sagt der Meteorologe und betont: "Der Klimawandel ist eine bedeutende Gefahr, aber hausgemachte Probleme kommen hinzu."

Im Kampf gegen das Vordringen des Wassers wird die Bevölkerung von Hilfswerken wie "Brot für die Welt" unterstützt: Häuser werden auf erhöhte Sockel gebaut, um sie vor den Fluten zu schützen. Agrarexperten entwickeln salzresistente Reissorten und Aufbereitungsanlagen für Trinkwasser. In diese Projekte fließen Gelder, die die internationale Gemeinschaft für die Anpassung an den Klimawandel zugesagt hat.

Für den Slum-Bewohner Yusuf ist der Klimawandel kein Begriff. Er schüttelt den Kopf, wenn er danach gefragt wird. "Die Armen in Bangladesch wissen nichts von der Erderwärmung", sagt Forscher Rahman. "Sie fühlen nur: Irgendetwas verändert ihr Leben."