In der Bremer Überseestadt dröhnt die Luft. Die Fingernägel schwarz-rot-gold lackiert, die Wangen ebenso bemalt, feiern 2.500 Zuschauer den Sieg der deutschen Fußballer gegen Portugal. Nur ein Ort von Tausenden, an denen die Deutschen das heimische Wohnzimmer gegen das Straßenpflaster austauschen und ihren Fußballrausch in der Menge ausleben - darunter auch Hunderte Kirchengemeinden, die ebenfalls Public Viewing anbieten.
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Der kollektive Jubel verbinde, sagt der Kölner Fanforscher Martin Thein. Wer sich darauf einlässt, wer den Hintern hochbekommt und die Couch verlässt, hat nach seinen Beobachtungen auch emotional einen Mehrwert. Denn in der Masse würden Verzweiflung und Freude geteilt. Und alle erfasse das gute Gefühl, einfach dazuzugehören und Teil einer Macht zu sein. "Gemeinschaft, Heimat, Identität - das verbindet vor der Leinwand."
Tendenziell eher Gelegenheitsfans
Auch Thomas und Nafra fiebern unter schwarz-rot-goldener Kopfbedeckung am Bremer Europahafen mit der Mannschaft von Jogi Löw. Sie mit aufgesteckten Hasenohren, er mit struppiger Perücke. "Wir wollen Spaß und lieben die Gemeinschaft", sagt der Mittdreißiger Thomas und wendet sich schnell wieder dem Geschehen auf der 40 Quadratmeter messenden Leinwand zu. Nur nichts verpassen.
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Während die Fußballverrückten eher in Sportkneipen ihrer EM-Leidenschaft frönen, treffen sich bei den Übertragungen unter freiem Himmel Menschen aus allen Bevölkerungsschichten. Die einen berauschen sich am gemeinsamen Fußballerlebnis, Die anderen wollen in erster Linie Party feiern. Allen gemein ist aber, dass ein Public Viewing nicht ohne reichliche Kommentare zum Spielgeschehen abgeht. Dabei wird schnell klar: Tendenziell sind es eher Gelegenheitsfans, die zum Leinwandfußball in der Masse anreisen.
"Aber alle wollen raus aus der Vereinzelung, wenigstens für die Wochen der Europameisterschaft, dann ist alles wieder vorbei", erklärt Fanforscher Thein. Wobei die Zahl der Fans vor den Leinwänden vom Erfolg der deutschen Nationalmannschaft und auch vom Wetter abhänge.
Es hängt an der Nationalmannschaft
Hängt das Phänomen Public Viewing also unmittelbar mit der Nationalmannschaft zusammen? Ja, sagt Fanexperte Thein. Er sieht das "Sommermärchen", die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, als den Anfang der großen Public-Viewing-Welle. Dabei sind die meisten unter den Gästen in den Fanarenen nach seiner Analyse gar nicht durch und durch vom Fußballvirus durchdrungen.
"Viele sind mit Handy und Smartphone unterwegs und machen noch während der Übertragung die nächste Verabredung klar", beobachtet der Mitbegründer der Internet-Plattform fankultur.com und des Kölner Instituts für Fankultur. Manche allerdings twittern oder facebooken einfach parallel, was ihnen beim Spiel so durch den Kopf geht. So reicht das Public Viewing oft noch weiter als nur über den einen Platz vor der Leinwand.
Das ist dann aber alles vergessen, sobald ein Tor fällt, zumindest wenn es eines für die Deutschen ist. Die Fahnen gehen nach oben, die Zuschauer - ob Partygast oder Hobbytrainer - reißen ihre schwarz-rot-goldenen Schals nach oben oder recken die Hände in den Himmel. "So kann es weitergehen", freuen sich die Fans Thomas und Nafra nach dem deutschen Erfolg. Und so lange die Deutschen bei der EM noch mitspielen dürfen, bleiben auch die Fanmeilen und Public-Viewing-Plätze voll.