Foto: epd-bild / Jörn Neumann
Das christliche Kreuz und die jüdische Kipa.
Israel und Vatikan auf einem "langen Weg"
Eine Konferenz über die Beziehungen zwischen dem Judentum und der katholischen Kirche offenbarte am Mittwoch bleibende Spannungen.
13.06.2012
Bettina Gabbe

Die Ungeduld des Vatikans mit Israel äußert sich gern in Unmut über die scheinbar nicht enden wollenden Verhandlungen über die Umsetzung des gemeinsamen Grundlagenvertrags von 1993. Die israelische Seite erinnert sich dagegen an den Widerstand des Heiligen Stuhls gegen die Gründung des jüdischen Staats von 1948 wie an eine noch immer schwärende Wunde. Fortschritte und Hindernisse bei der beiderseitigen Annäherung benannten am Mittwoch die Teilnehmer einer Tagung über die Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan.

Abgründe bestehen nach wie vor

Der freundliche Ton täuschte dabei nicht über weiterhin bestehende Abgründe hinweg. Ein junger Historiker der Hebräischen Universität Jerusalem zitierte ausführlich israelische Regierungsvertreter aus den 1950er bis 1970er Jahren. Demnach zählte der israelische Premierminister David Ben-Gurion den Vatikan in einer Ansprache an die Knesset 1952 zu einer der "starken Kräfte in der Welt, die uns feindlich gegenüber stehen".

Erst das Dokument "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965 habe eine Wende in den Beziehungen zwischen Judentum und katholischer Kirche herbeigeführt, hieß es bei der Tagung an der päpstlichen Opus-Dei-Universität Santa Croce in Rom. Bis dahin habe es keinen respektvollen Gedankenaustausch gegeben, betonte Raymond Cohen, der ebenfalls von der Hebräischen Universität Jerusalem stammt. "Sie mögen gepredigt, gestritten, einander widerlegt, verhöhnt und zum Schweigen gebracht haben, aber sie hörten einander nicht als gleichwertige Partner zu."

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Mit der Verurteilung des Antisemitismus habe "Nostra aetate" erst den Grundstein für einen Dialog unter ebenbürtigen Partnern gelegt, betonte Cohen. Auf Seiten Israels existiere kein Gremium, welches mit der Autorität eines Konzils ein entsprechendes Dokument verabschieden könnte, erklärte der scheidende israelische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Mordechay Lewy.

Unter allen bilateralen Beziehungen zwischen Staaten sind diejenigen zwischen Israel und dem Vatikan am wenigsten von materiellen Themen wie Ein- und Ausfuhr, Verteidigungspolitik oder Rüstungsgeschäften geprägt. Für Lewy besteht daher eine "Asymmetrie" zwischen politischen und religiösen Fragen im diplomatischen Austausch zwischen seiner Regierung und dem Heiligen Stuhl.

"Vom Starken kommt Süßes"

Mehr noch als bei anderen Beziehungen zwischen Staaten kommt es zwischen Israel und dem Vatikan auf Gesten an. Dokumente könnten dabei nicht den Aufbau guter persönlicher Kontakte ersetzen, hieß es bei der Konferenz mit dem biblischen Titel "Vom Starken kommt Süßes" (Buch der Richter 14,14).

Die "Flitterwochen" nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages von 1993 sind gründlich vorüber, waren sich die Tagungsteilnehmer einig. Den überhöhten Hoffnungen und Erwartungen sei eine Zeit der Abkühlung und des Rückzugs gefolgt. Unvergessen sind die Spannungen nach der Aufhebung der Beschränkungen für die vorkonziliare Messe. Traditionalistische Katholiken beten dabei auch in einer eigens von Papst Benedikt XVI. überarbeiteten Fassung der Karfreitagsfürbitte weiterhin für eine Bekehrung der Juden.

Grundlagenvertrag fast unterschriftsreif

Die Verhandlungen um die Umsetzung des Grundlagenvertrags stehen derweil offenbar kurz vor dem Abschluss. Die als besonders schwierig geltenden Fragen der Besteuerung kirchlichen Besitzes sind weitgehend geklärt. Doch auch wenn es wie erwartet noch in diesem Jahr zu einer Einigung kommen sollte, wird ein Teil des gegenseitigen Misstrauens bleiben.

Der verstorbene Pariser Erzbischof, der aus einer jüdischen Familie gebürtige Jean-Marie Lustiger, hatte den scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen beiden Seiten als "Doppelneurose" bezeichnet. Lewy erweiterte dessen Beschreibung zum Begriff der "Opferwissenschaft", bei der beide Seiten sich als Leidtragende empfinden und dabei keinen Blick für den jeweils anderen haben. "Deshalb sind wir noch am Anfang", fasste der israelische Botschafter die bisherige Geschichte des Annäherungsprozesses zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl zusammen.