Foto: Kachin News Group
Flüchtlingskinder der Kachin.
Katastrophe in Birma: Das Leid der christlichen Kachin
Birmas Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi beginnt heute einen mehrtägigen Europabesuch. Ihr Heimatland steht gegenwärtig vor großen Veränderungen. Doch unbemerkt von der Weltöffentlichkeit spielt sich in Birma eine humanitäre Katastrophe ab. Betroffen ist die Minderheit der christlichen Kachin.

"Die Soldaten kamen, holten die Frauen und führten sie von Zelt zu Zelt. Am nächsten Morgen konnten diese Frauen kaum laufen. Einige schienen Schmerzen zu haben. Sie liefen vornübergebeugt. Und sie weinten." Diese Szene aus einem Camp der birmanischen Armee in Kachin schilderte ein M. Seng gegenüber der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Der 23-Jährige gehört selbst zur Volksgruppe der Kachin und wurde von der Armee gezwungen worden, ihr als Lastenträger zu Diensten zu sein.

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Missbrauch als Arbeitssklaven und menschliche Schutzschilde, Folter und Vergewaltigungen sind seit einem Jahr Alltag im Kriegsgebiet Kachin im Nordosten Birmas, an der Grenze zu China. Der Konflikt dürfte auch beim Europabesuch der birmanischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi eine Rolle spielen, der am Mittwoch begann. In ihren Reden in Oslo, London und Genf wird die charismatische Friedensnobelpreisträgerin die politischen Fortschritte in ihrer Heimat preisen, aber auch – wie schon bei ihrem Besuch in Thailand Ende Mai – die vielen Probleme nicht verschweigen.

Die Kachin sind eine christlich dominierte ethnische Minderheit in Birma. Vor einem Jahr, am 9. Juni 2011, startete unter der Regierung des reformorientierten Präsidenten Thein Sein die Militäroffensive gegen die Kachin Independence Organisation (KIO) und die Kachin Independence Army (KIA) und beendete damit einen – wenn auch fragilen – 17-jährigen Waffenstillstand. Drei Gesprächsrunden der beiden Konfliktparteien zur Beilegung des Konflikts sind bisher gescheitert.

75.000 auf der Flucht

In Kachin spielt sich, kaum bemerkt von der Welt, eine humanitäre Katastrophe ab. Mindestens 75.000 Kachin sind schon vor den Kämpfen geflohen und leben unter schlimmsten Bedingungen in ärmlichen Notlagern. Nur sporadisch lassen die Behörden humanitäre Hilfstransporte der Vereinten Nationen in das Kriegsgebiet. Nur birmanische Hilfsorganisationen und die Kirchen der Baptisten und Katholiken in Kachin können eine bescheidene humanitäre Hilfe leisten.

Drogenabhängiges Kind in einer Goldminen-Region in Kachin. Foto: Kachin Development Network Group

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch prangern massive Menschenrechtsverletzungen wie Vergewaltigungen, den Einsatz von Kindersoldaten und Folter durch die birmanische Armee, aber auch die KIA an. Die Vereinten Nationen sehen mit großer Sorge den andauernden Krieg in Kachin. In Anspielung auf den Ausschluss der Kachin von den Nachwahlen am 1. April dieses Jahres und ihrer Politiker von der Parlamentswahl im November 2010 mahnte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon Ende April vor dem Parlament Birmas: "Dem Volk der Kachin sollte nicht länger die Möglichkeiten verweigert werden, die ein Waffenstillstand und ein politisches Abkommen für Frieden und Entwicklung bieten."

Der Krieg in Kachin ist ein Kuriosum wie auch ein Schlaglicht auf die Ursachen von Birmas Absturz in eine Militärdiktatur, der vor 60 Jahren mit der Ermordung von Birmas Unabhängigkeitshelden Aung San, dem Vater von Aung San Suu Kyi, begann. Nationalistische Kräfte beendeten mit den Schüssen vom 19. Juli 1947 die Vision eines föderalen Birma, auf das sich Aung Sang und die ethnischen Völker auf der Panglong Konferenz im Februar 1947 geeinigt hatten. 

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Das Abkommen von Panglong wurde nie umgesetzt. Stattdessen begann die Unterdrückung der ethnischen Völker. Diese beharrten jedoch weiter auf Autonomie oder gar die Rückgewinnung ihrer einstigen Unabhängigkeit. Grund für das Militär, 1962 die Macht an sich zu reißen und bis heute daran festzuhalten mit der Begründung, die Einheit Birmas wahren zu müssen. Mit Waffengewalt unterdrückt die Armee seitdem Kachin, Karen, Shan und andere Völker, die ihrerseits mit ihren Rebellenmilizen die Armee bekämpfen.

Das Kuriosum an dem Krieg in Kachin ist jedoch, dass er in einer Zeit stattfindet, in der Birmas Regierung mit allen anderen ethnischen Gruppen Waffenstillstände vereinbart hat und zum ersten Mal in all den Jahrzehnten zu einer politischen Konfliktlösung bereit zu sein scheint. 

Doktrin des "einheitlichen Myanmar" gilt weiter

Die Frage ist, wie ernst es Birmas Regierung mit den politischen Verhandlungen ist, oder ob nur alter Wein in neuen Schläuchen verkauft werden soll. Kim Jolliffe, ein auf die ethnischen Konflikte spezialisierter unabhängiger Birmaexperte in Bangkok, sagt, auch unter Thein Sein gelte die Doktrin des ehemaligen Juntachefs General Than Shwe eines "einheitlichen Myanmar" mit zentralistischer Machtstruktur. Jolliffe sagt: "Sie ignorieren schlichtweg die Forderung der Rebellen nach einem nationalen Dialog mit dem Ziel, durch eine Verfassungsänderung eine föderale Struktur zu ermöglichen."

Der United Nationalities Federal Council (UNFC), der Zusammenschluss von zwölf ethnischen Gruppen, wirft Birmas Regierung in einer im Mai veröffentlichten Erklärung zudem vor, mit der Militäroffensive in Kachin "ausländische Interessen" zu schützen. Gemeint ist China, das Milliarden in Megaprojekte wie Dämme, Pipelines und Bergbau investiert hat. Die Ausbeutung des an natürlichen Ressourcen (von Wasser über Holz, Gold, Jade, Uran bis zu Kohle) reichen Kachin hat zu immensen sozialen Verwerfungen geführt. Zehntausende werde für die Megaprojekte zwangumgesiedelt. Der Drogenkonsum hat fast epidemische Ausmaße angenommen. Die Prostitution blüht. Damit einhergehen massive Gesundheitsprobleme, wie Naw La von der Kachin Development Network Group weiß. Er sagt: "Kachin hat eine der höchsten HIV-Raten in Birma."

Armut und Vetternwirtschaft

Viel besser ist die Lage in den Regionen anderer ethnischer Völker wie der Shan, der Mon oder Karen auch nicht. Auch ihre Staaten verfügen über reiche natürliche Ressourcen. Auch die werden von ausländischen Unternehmen mit Hilfe der Vetternwirtschaft der birmanischen Armee ausgebeutet, während die Bevölkerung in Armut versinkt.

Jade-Abbau in Kachin. Foto: Kachin Development Network Group

Birma ist auf die Rohstoffe aus den ethnischen Gebieten angewiesen und will deshalb nicht die totale Kontrolle über diese Schatzkammern aufgeben. Das rohstoffarme Zentralbirma  – Heimstatt der ethnischen Birmanen – lebt im Wesentlichen vom Reisanbau. Hinzu kommen seit einigen Jahren die Öl- und Gasvorkommen vor der Küste. Aber auch davon haben die Birmanen keinen Nutzen, wie auch nicht von dem von den Wasserkraftwerken in ethnischen Gebieten produzierten Strom. Die Elektrizität, das Öl, das Gas wird nach Thailand und China exportiert.

Es sind diese Missstände, die die Birmanen jeglicher ethnischer Herkunft auf die Straße treiben. Der Mönchsaufstand im Jahr 2007 war durch Benzinpreiserhöhungen ausgelöst worden. Im Mai dieses Jahres demonstrierten über mehrere Tage hinweg in Rangun und Mandalay Tausende Menschen für eine bessere Stromversorgung. „Das Problem der Stromversorgung könnte der Auslöser für Massenproteste gegen die Regierung werden“, prophezeit Khin Ohmar. Die Koordinatorin des prodemokratischen Exilnetzwerks Burma Partnership warnt, das Problem des Landraubs für den Bau von Staudämmen, für Gold- und Jademinen, für den Bau von Pipelines, durch das birmanische Gas und Öl nach China fließt,  könnte die sozialen Spannungen verschärfen.

Frist bis Mitte des Monats

Kachin ist der Spiegel der Probleme und Nöte Birmas im Allgemeinen und der ethnischen Gruppen im Besonderen. Der UNFC hat Birmas Regierung eine Frist bis Mitte Juni zur Einstellung der Kämpfe gesetzt. Dann wolle die UNFC die getroffenen Waffenstillstandsvereinbarungen überprüfen. Die UNFC betont: "Das Problem der KIO ist das Problem aller UNFC-Mitglieder."