Foto: dpa/RWE
Offshore-Windpark vor der Küste von Nordwales.
Energiewende: Land oder Meer?
Die Energiewende stolpert über die Kapazität des Leitungsnetzes: Wie soll der Strom von den umstrittenen Offshore-Windparks im Norden zur Industrie im Süden kommen? Der beschleunigte Netzausbau ist nur eine mögliche Antwort. Denn die Stromerzeugung kann noch viel dezentraler werden.

Das Credo der Energiewende scheint wie in Stein gemeißelt: "Ohne Strom vom Meer gibt es keine Energiewende in Deutschland." In kaum einem Jahrzehnt sollen von der Nord- und Ostsee bereits 10.000 Megawatt Strom fließen - was etwa der Leistung der abgeschalteten Atommeiler entspricht. Dazu sollen riesige Windmühlen auf hoher See errichtet werden. Für die Offshore-Windenergie sprechen der häufig stürmisch wehende Wind in der Deutschen Bucht und die schier endlose Weite des Meeres. Ausgedehnte Kraftwerksanlagen können so weitab von menschlichen Siedlungen errichtet werden.

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Doch bislang ist diese zunächst bestechende Idee kaum mehr als eine vage Vision. "Die bautechnischen Herausforderungen waren anfänglich unterschätzt worden", erklärt Nico Nolte vom verantwortlichen Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg den schleppenden Start. Die tiefe und raue Nordsee stellte die Ingenieure vor höhere Herausforderungen als die küstennahen Flachwässer vor der britischen Insel, den Niederlanden oder Schweden, wo bereits Windstrom vom Meer fließt. Die Branche hinkt den ursprünglichen Planungen jahrelang hinterher - statt in Dutzenden "Parks" drehen sich heute erst in drei Anlagen Windmühlen. So sind von den geplanten 10.000 Megawatt laut Windenergieverband BWE erst 200 Megawatt installiert.

Bremsen tun auch ungelöste Probleme beim Netzanschluss. Schließlich muss der Strom vom Meer an Land fließen und von dort bundesweit verteilt werden. Die traditionellen Steinkohle- und Atomkraftwerke waren einst in der Nähe von Ballungsgebieten errichtet worden, um neue Fabriken und Industrien mit Strom zu versorgen. Mit der Energiewende werden jedoch zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch künftig weite Distanzen liegen: Der Offshore-Strom soll vom dünn besiedelten Norden nach West- und Süddeutschland fließen. Dazu müssen Landanschlüsse, überregionale Übertragungsnetze und regionale Verteilernetze aufgebaut werden.

Fakten schaffen statt forschen

Die schwarz-gelbe Bundesregierung misst der Netzinfrastruktur eine Schlüsselrolle für den Umbau zu - und warnt in ihrem "Energiekonzept 2012": "Noch sind unsere Stromnetze nicht auf den Transport der erneuerbaren Energien ausgelegt." Den Bedarf an neuen Übertragungsnetzen beziffert eine Sprecherin der Deutsche Energie-Agentur (Dena) auf bis zu 4.500 Kilometer - von denen bisher nicht einmal 100 Kilometer fertiggestellt sind.

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Die öffentliche Kritik an dem Stillstand konzentriert sich auf den Netzbetreiber Tennet, der dem niederländischen Staat gehört. Tennet hatte das vorhandene Nord-Süd-Netz 2009 von Eon übernommen und hat immerhin bereits 5,5 Milliarden Euro in den Anschluss der geplanten Windparks in der Nordsee investiert. Um den weiteren Ausbau zu gewährleisten, müssten weitere 10 Milliarden Euro allein ins Tennet-Netz investiert werden, aber bislang war lediglich der japanische Konzern Mitsubishi bereit, sich mit knapp 600 Millionen zu beteiligen.

Das geringe Interesse liegt aus Branchensicht an ungeklärten Haftungsfragen. Umstritten ist vor allem die Haftung für die Schnittstelle zwischen den Windparks und dem Netzbetreiber, der den Strom weit draußen im Meer abholen soll. Private Versicherer weigern sich, die wirtschaftlichen Risiken abzusichern. Die Probleme sind allerdings lange bekannt gewesen. Doch nun scheint die schwarz-gelbe Bundesregierung den fehlenden Haftungs- und Versicherungsschutz bereitzustellen. Außerdem soll die staatliche KfW-Bank prüfen, ob sie Teile ihres 5-Milliarden-Euro-Programms zum Ausbau von Offshore-Windparks lieber in den Netzausbau investiert. All das schafft harte wirtschaftliche Fakten.

"Windparks auf hoher See sind nicht die einzige mögliche Entwicklung"

Doch Thorben Becker hält Alternativen für manche Stromtrasse für möglich. Er warnt vor "Übertreibungen" beim Ausbau des Stromnetzes. "Windparks auf hoher See sind nicht die einzige mögliche Entwicklung", sagt der Energieexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Berlin. In dem von den Netzbetreibern kürzlich vorgestellten "Netzentwicklungsplan 2012" werde nur eine mögliche Verteilung angenommen: Strom werde in der Nord- und Ostsee zentral produziert.

Das Stromnetz der Zukunft könnte aber auch anders aussehen, sagt Becker: "Es fehlen wichtige Analysen, um ein umfassendes Bild zu gewinnen." Mehr Photovoltaik in Norddeutschland oder neue Windparks in Süddeutschland etwa könnten dazu führen, dass weniger neue Überlandleitungen gebaut werden müssten. Damit aber die dezentrale Energiegewinnung an Land endlich vorankomme, müssten alle Bundesländer bald "vernünftige Pläne" vorlegen, fordert Becker.

Das heißt vor allem: Standorte finden, die ökologisch und sozial verträglich sind. Die gibt es, meint Stefan Bofinger vom Fraunhofer-Institut: "Allein mit Onshore-Windenergie kann bis zu 65 Prozent des deutschen Strombedarfs gedeckt werden." Zu diesem erstaunlichen Ergebnis kamen Bofinger und seine Forscher schon im vergangenen Jahr in einer Studie, die ihr Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik im Auftrag des Unternehmensverbandes BWE erstellte. Flächen gäbe es mehr als genug in Deutschland, die für Windmühlen vor Ort geeignet seien. Eine - neudeutsch - Win-Win-Alternative scheint also möglich: Mehr Strom an Land bedeutet nämlich weniger Strom aus dem Meer, der für Verbraucher teurer ist, und weniger politisch umstrittene Überlandleitungen.