Jürgen Domian
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Jürgen Domian: "Der Tod ist das Thema meines Lebens"
Der WDR-Nachttalker Jürgen Domian hat mit seinem "Interview mit dem Tod" einen Sachbuch-Bestseller gelandet. Mit evangelisch.de sprach er über Leben, Sterben, die Evangelische Kirche – und seine eigene Beerdigung.

Wann der Tod kommt, weiß niemand – Jürgen Domian erscheint auf die Minute pünktlich zum vereinbarten Gespräch in der Kölner Hotel-Lounge nahe des Hauptbahnhofs. Kapuzenpulli, Turnschuhe, freundliches Lächeln: Seine 54 Jahre sieht man dem Mann auf den ersten Blick nicht an. Er bestellt einen grünen Tee.

Herr Domian, der Lebenserwartungsstatistik zufolge sterben Sie am 22. Mai 2036 ...

Jürgen Domian: ... na, vielen Dank. (lacht) Immerhin kann ich mich noch etwas vergnügen auf der Welt.

Wüssten Sie gern Ihr tatsächliches Todesdatum?

Domian: Nein. Weil ich eigentlich immer so leben möchte, als müsste ich bald sterben. Das ist genau das Thema meines Buchs. Wenn man im Bewusstsein des Todes lebt, heißt das, dass der Tod quasi zu jeder Stunde eintreten kann und nicht irgendwann irgendwie.

Das ist die zentrale Aussage von "Interview mit dem Tod", das trotz des schwierigen Themas so erstaunlich viele Leser findet und zwei Monate nach Erscheinen bereits die vierte Auflage erreicht hat: Lebe im Moment. Und sei dir der Endlichkeit bewusst.

Jahrelange spirituelle Suche

Obwohl es damals keinen Todesfall in seinem Lebensumfeld gab, sei ihm schon als kleiner Junge dieses unausweichliche Ende schockartig bewusst geworden. Seitdem habe ihn das Thema nicht mehr losgelassen: "Der Tod ist das Thema meines Lebens."

Noch immer beneide er gläubige Menschen, weil ihnen ihr Glaube alle grundsätzlichen Fragen beantworte, sagt er. "Das ist schon prima." Auch er war einmal so und beschreibt den jungen Jürgen Domian als eifernden Christen. Einer, der sonntags wütende Pamphlete gegen den vermeintlich geheuchelten Glauben der anderen Kirchgänger verteilt.

Bis er mit etwa 20 Jahren durch die Lektüre von Feuerbach und Kant innerhalb weniger Monate seinen Glauben verliert. Einfach so und für immer. Domian fällt in eine tiefe Lebenskrise, wird zum überzeugten Atheisten, bis er begreift, dass er den Glauben an Gott nur ausgetauscht hat gegen den anderen festen Glauben, dass es Gott nicht gibt. 

Er erkrankt an Bulimie (Ess-Brechsucht). Nach Jahren aus eigener Kraft genesen, "ohne Arzt, ohne Therapeut", macht er sich auf die lange Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Leben, dem Sinn, nach Gott und dem Tod.

Sein "Interview mit dem Tod" unterbricht er mit Beschreibungen seiner spirituellen Suche, fasst die Aussagen der großen Philosophen zusammen, beschreibt, wie er das Sterben nahe stehender Menschen erlebte und schildert besonders ausführlich den Umgang der tibetischen Buddhisten mit dem Lebensende.

Domian: Ich habe mich in den vergangenen zehn Jahren viel mit interreligiöser Mystik beschäftigt, mit Meister Eckhart, Teresa von Ávila, dem Sufi-Mystiker Rumi, dem indischen Mystiker Kabir und viel mit Buddhismus und Zen-Buddhismus. Bei der Vertiefung fand ich es erstaunlich, wie viele Parallelen es zwischen Mystik und Zen gibt und wie undogmatisch christliche Mystik sein kann. Deswegen sind die Mystiker auch nicht so beliebt bei den kirchlichen Hierarchen, denn sie sind von Institutionen und Dogmen weit entfernt und konzentriert auf die Einheitserfahrung mit Gott und der Welt.

"Vergänglichkeit wird verdrängt"

Der Buchautor Jürgen Domian hat sich das extremste Thema überhaupt ausgesucht – am Tod kommt keiner vorbei. Jede andere Erfahrung sei sozusagen optional, bestätigt er und nippt an seinem Tee.

Domian: Ich habe das Anliegen, in meinem kleinen Wirkungsrahmen ein wenig dazu beizutragen, dass man Tod und Leben wieder als Einheit sieht. Alle großen spirituellen Bewegungen und Traditionen dieser Welt, alle betonen die Wichtigkeit dieses Bewusstseins. Das fängt in unserem Kulturkreis mit dem Psalm 90 an: "Herr, lehre uns zu erkennen, dass wir sterblich sind, auf dass wir klug werden." Buddha sagt: Die höchste aller Meditationen ist die über den Tod. Irgendwas muss ja dran sein, wenn seit Tausenden von Jahren alle Weisen zu diesem Ergebnis kommen. Und nur wir in unserer extrem narzisstischen und auf Äußerlichkeiten fixierten Welt haben diese Verbindung verloren.

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Woran liegt das?

Domian: Alles, was mit Vergänglichkeit zu tun hat, mit Altern, Krankheit und Leid, wird sehr schnell zur Seite gedrängt. Der Tod ist ein Störfall, an den man gar nicht erinnert werden will. Interessant ist, dass alle Leute, die in dieser westlichen Welt tiefe existenzielle Erfahrungen in der Nähe des Todes gemacht haben, sei es durch Nahtoderlebnisse oder schwere Erkrankungen, es anders sehen. Damit einher geht immer eine größere Wertschätzung des Lebens, ein viel größeres Relativieren der eigenen Probleme, und die Tabelle der Wichtigkeiten verändert sich völlig.

Mit der Wertschätzung des Lebens verbindet Domian die Forderung nach einem menschenwürdigen Ende – aktive Sterbehilfe inbegriffen. Ihn regt auf, "dass die großen Repräsentanten der Gesellschaft in dieser Frage wie betoniert sind: die beiden Kirchen als Institutionen - nicht unbedingt die Gläubigen -, die Sozialverbände, die immer noch mehrheitliche Ärzteschaft".

Dafür, dass er diese Position auch in seinem Buch vehement vertritt, hagelte es scharfe Kritik von Seiten der Hospizbewegung. Was ihn nur noch mehr erstaunte, wie er sagt.

Ein Buch als finales Statement

Tatsächlich versteht der Moderator, dessen Stimme und Gesicht im WDR-Sendegebiet jeder kennt, sein Buch auch nicht als Diskussionsbeitrag zum Thema Umgang mit dem Tod, sondern eher als ein finales Statement, eine Quintessenz, die alle Suchenden sättigen soll.

Geht damit - nach den geschätzten rund 20.000 Gesprächen mit oft lebensmüden Anrufern in seiner Sendung - der Wunsch nach einem übergeordneten Thema einher, nach einem alles überspannenden Dach, unter dem sich alle versammeln können, die Mühseligen und Beladenen genauso wie die Unbeschwerten, Schönen und Erfolgreichen?

Diese Vermutung weist Domian weit von sich. Das Buchthema habe er just in dieser Hotellobby gemeinsam mit seinem Lektor entwickelt, mit seinem sonstigen Job habe das ursprünglich nichts zu tun. Gut, noch ein Versuch:

Ich unterstelle Ihnen eine Sucht nach dem Dunklen. Haben Sie die?

Domian: Eine Sucht nach dem Dunklen? Nein.

Na, Sie leben ja schon fast wie ein Vampir, praktisch ausschließlich nachtaktiv.

Domian: Das macht mir auch schwer zu schaffen. Das ist eine der Kehrseiten dieser Arbeit, dass ich zumindest im Winter zu wenig Licht bekomme. Dafür reise ich im Sommer nach Lappland, wo ich dann nur Licht habe. (lacht) Nein, das ist nicht so. Ganz eindeutig, da muss ich gar nicht drüber nachdenken.

Aber sie haben gesagt: "Das Böse bei den Menschen überwiegt."

Domian: Ja, das glaube ich schon. Das ist mein Erfahrungswert. Aber das heißt ja nicht, dass es das Gute und Empathische nicht auch gibt und extrem stark ist. Ich glaube nach wie vor an das Gute im Menschen. Wenn man das nicht mehr tut, ist man wirklich verloren, ein Zyniker.

Der Weg der Stille

Ein Zyniker ist Jürgen Domian gewiss nicht, wie er überhaupt rigorose Haltungen eher meidet: Er ist weder für die Todesstrafe, noch hat er überhaupt jemals einem Menschen den Tod gewünscht oder gar in trüben Momenten ernsthaft daran gedacht, sich selbst das Leben zu nehmen. Die "Flamme des Lebenswunschs" sei in ihm nie erloschen, sagt er.

Das passt zu einer gewissen Schicksalsergebenheit, für die er in seinem Buch wirbt. Darin lautet eine der womöglich heilsamsten Aussagen für Hinterbliebene sinngemäß: Der Tod geht zu denen, deren Aufgabe erfüllt ist.

Liegt für Sie der größte Trost in dem Bild, eine Welle zu sein in einem großen Meer?

Domian: Ja, das finde ich sehr tröstlich. Das ist Zen.

Was ist die Stille für Sie?

Domian: Der Tod sagt: Das Schweigen ist der Schlüssel zu allen Geheimnissen. Auch das ist eine Erkenntnis aus Tausenden von Jahren, denn alle Weisen dieser Welt, ob es Christen, Moslems oder Juden waren oder sie gar keiner besonderen Richtung angehörten, sind in die Stille gegangen. Man ist in die Wüste gegangen, ging pilgern, in die Klöster, um den Weg zu finden. Den Weg findet man nicht im Geräuschvollen.

Welch ein charmanter Widerspruch: In Ihrem Beruf leben Sie vom vielen Reden und als Existenzziel schwebt Ihnen die Stille vor.

Domian: (lacht) Das ist absurd, stimmt. Mein Beruf ist das Sprechen und das Formulieren, und im Sommer fliehe ich in die Wortlosigkeit. Das ist auch nicht unbedingt lustvoll. Die ersten Tage fällt mir das immer schwer, da meint man, es nicht aushalten zu können, nicht zu quatschen. Aber dann ist es sehr Energie und Kräfte spendend. Danach wiederum fällt es mir immer sehr schwer, mich hier wieder in die Welt einzufügen. Wobei ich das große Glück habe, einen Beruf ausüben zu können, den ich für sinnvoll halte. Das ist sehr motivierend. Obwohl ich oft drüber nachdenke, was mit mir geschehen würde, wenn ich mal ein Jahr wegginge. Diese Verlockung gibt es schon.

Am Ende ist "tote Materie, nichts mehr"

Es ist gleich 21 Uhr. Die für die Begegnung vereinbarte Zeit ist um. Bleibt noch eine buchstäblich letzte Frage:

Herr Domian, wie möchten Sie in Erinnerung bleiben?

Domian: Das ist mir völlig egal. Ich bemühe mich, zu Lebzeiten ein anständiger Mensch zu sein. Es geht um das Jetzt und nicht um das Übermorgen. Es ist mir auch egal, wie ich beerdigt werde und was auf meinem Grabstein steht. Meinetwegen kann mein Körper auch in die Uniklinik zum Zerschnippeln. Das ist tote Materie, da ist nichts mehr. Schluss, weg.

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Spricht's, trinkt seinen Tee aus und schwingt sich aufs Fahrrad. In vier Stunden geht das Rotlicht an, neue Anrufer werden mit ihm sprechen, heute zum Thema "Jung und zwischen den Kulturen", und irgendwann im Morgengrauen wird Jürgen Domian wieder versuchen, Schlaf zu finden.