facebook Shahin Najafi
Fall Najafi: Über Kunstfreiheit und Religionsfreiheit
Ein Interview mit der EKD-Kulturbeauftragten Petra Bahr über Solidarität, Grundfreiheiten und Provokation
Vor einigen Wochen wurde gegen den in Deutschland lebenden iranischen Musiker Shahin Najafi zwei Fatwas verhängt, weil er in seinem Rap-Song "Naghi" den relativ unbekannten zehnten Imam der schiitischen Muslime beleidigt haben soll. In dem Lied fleht Najafi den Imam an "zurückzukehren" und thematisiert soziale und politische Missstände im Iran. In einem Interview mit evangelisch.de spricht die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, über die Frage, was die Todesdekrete mit unserer Gesellschaft und unseren Grundfreiheiten zu tun haben: "Kunstfreiheit ist die Schwester der Religionsfreiheit."
07.06.2012
evangelisch.de
Franziska Fink

Frau Bahr, verstehen Sie die Fatwa gegen den iranischen Musiker Shahin Najafi auch als einen Angriff, der sich sowohl gegen das Zusammenleben in Deutschland als auch die Kunstfreiheit richtet?

Bahr: Ich verstehe das vor allem als Selbstimmunisierung gegenüber den Freiheitsrechten. In unserer Verfassung sind Kunst und Religion frei. Das ist ein hohes Gut, das vor allem die schätzen, die aus Ländern kommen, wo diktatorische Regime beides unterdrücken. Das gilt besonders für den Iran. Eine Fatwa macht ja nicht vor nationalen Grenzen halt. Sie gilt für die Muslime, die sie als religiöses Recht gelten lassen. Damit ist Shahin Najafi buchstäblich zum Abschuss freigegeben. Man muss sich in aller Schärfe klar machen: ein Künstler muss plötzlich in Deutschland um sein Leben fürchten, obwohl die Freiheit der Kunst sich hier keinem religiösen Diktat beugen muss. Das finde ich beängstigend. Die beiden großen christlichen Kirchen haben mühsam gelernt, wie kostbar die Kunstfreiheit ist, auch wenn sie dann und wann die eigenen Glaubensgrundlagen antastet. Es gilt, diese Freiheit zu verteidigen, weil mit der Gefährdung Grundsätzlicheres auf dem Spiel steht. Und viele Muslime hoffen darauf, dass wir diese Freiheit zusammen verteidigen.

###mehr-artikel###

Wie wichtig ist es, dass wir Künstler schützen, die unter solch einer Drohung stehen? Und wie können wir das überhaupt?

Bahr: Das eine ist natürlich die strafrechtliche Dimension. Der Aufruf zum Mord bleibt ja nicht unbehelligt. Dazu gibt es Sicherheitsmaßnahmen, die es braucht, um den Musiker zu schützen. Man male sich aber aus, was es heißt, mitten in Deutschland um sein Leben fürchten zu müssen.

Ich glaube aber auch, dass es ganz wichtig ist, dass die Zivilgesellschaft, also auch Künstlerinnen und Künstler sowie Menschen, die sehen was auf dem Spiel steht, wenn solche Grundfreiheiten verletzt werden, sich für den Künstler engagieren. Wir müssen deutlich machen, dass es uns nicht egal ist, was da geschieht, nach dem Motto: der Künstler ist ja Moslem. Nein, wenn die verfassungsrechtliche Basis für unsere Gesellschaft offen angegriffen wird, dann geht uns das alle an, unabhängig übrigens davon, wie der Einzelne jetzt die Songs oder das Kunstwerk, um was es gerade geht, findet, ob es geschmacklos, dumm, provokant oder bis zur Schmerzgrenze frech ist.

"Religionsfreiheit und Kunstfreiheit haben die gleichen Wurzeln."

Religionsfreiheit und Kunstfreiheit haben die gleichen Wurzeln. Es kommt nicht von ungefähr, dass in totalitären Regimen immer die religiösen Minderheiten und die Künstler als Bedrohung empfunden werden.

Sie sehen also auch keinen Widerspruch zwischen Religions- und Kunstfreiheit?

Bahr: Auf den ersten Blick scheint das so zu sein, wenn wir uns die Blasphemie-Debatten bis in dieses Jahrzehnt ansehen, den Streit um Karikaturen, um Operninszenierungen und Kunstwerke, die die zentralen Symbole des Christentums aufs Korn nahmen. Da wurde auch in christlichen Kirchen da und dort das verletzte Gefühl gegen die Freiheit der Kunst in Stellung gebracht. Da war plötzlich von Ehre und Beleidigung die Rede, auch in den Kirchen. Doch die Verbotsforderungen sind kurzsichtig und gefährlich.

Oberkirchenrätin Petra Bahr, Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Foto: epd/Andreas Schoelzel

Die Religionsfreiheit und die Freiheit der Künste haben, wie gesagt, die gleichen Wurzeln. Ich fand diese Aufregung übrigens auch aus theologischen Gründen problematisch. Als würde Gott sich durch eine schlechte Karikatur oder ein missratenes Theaterstück beleidigen lassen. Im übrigen hat so manche künstlerische Provokation den Finger in kirchliche Wunden gelegt. Als George Grosz im ersten Weltkrieg einen Christus mit Gasmaske malte, hat er auch die Kriegsbegeisterung der Christen vorgeführt.

Oft wird Künstlern, die heftige, negative Reaktionen hervorgerufen haben, die Verantwortung für ihre Situation zugeschoben, nach dem Motto: "Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass Sie heftige Reaktionen provozieren."

Bahr: Das ist zynisch. Das ist ja fast so, als würde man einer Frau, die vergewaltigt wird, sagen: "Kein Wunder, dass du vergewaltigt wurdest, dein Rock war ja auch so kurz." Das ist eine ganz widerliche Art, Opfer und Täter zu vertauschen und die Verantwortung einer ganzen Gesellschaft abzugeben. Eine Fatwa ist keine Unmutsäußerung, sie ist ein Todesurteil über einen, der den Islam verraten hat.

"Einer gefühlten Beleidigung darf kein Anschlag auf den Künstler folgen."

Kunst provoziert und bricht Tabus. Manche Tabubrüche geschehen vielleicht aus zweifelhaften Motiven, nämlich aus der Lust an der Provokation. Darüber kann man sich öffentlich ärgern. Religiöse Menschen können erklären, warum sie diesen Song, jenes Bild, diesen Film oder jenes Gedicht als Zumutung empfinden. Aber aus der gefühlten Beleidigung darf kein Anschlag auf die Person des Künstlers folgen.

Sie sagen: "Christlicher Glaube, der seine kulturelle Verantwortung wahrnimmt, setzt gegen den 'Kampf der Kulturen' einen Kampf um Kultur." Wie kann der christliche Glaube seine kulturelle Verantwortung wahrnehmen?

Bahr: In dem in diesen Momenten die Kirchen an der Seite des Künstlers stehen, ohne Wenn und Aber, und sagen, die Kunstfreiheit und die Religionsfreiheit kommen aus der gleichen Wurzel und sind uns so wichtig, dass wir uns ohne jeden Vorbehalt für die Freiheit des Künstlers einsetzen.

Warum denken Sie, kommt es überhaupt dazu, dass Kunst, Literatur, Musik bisweilen heftige Reaktionen und sogar Drohungen hervorrufen können?

Bahr: Im Fall von Shahin Najafin muss man sagen, dass der Künstler in diesem Song Dimensionen einer bestimmten Ausrichtung des Islams berührt, die hochgradig tabuisiert sind: Sexualität, Pornografie, auch Machtmissbrauch innerhalb der religiösen Institutionen. Aber die Kunstfreiheit einschränken zu wollen, weil man die Religionsfreiheit stark machen will, ist deswegen so fatal, weil die Geschichte der abendländischen Religion und ihrer Kritiker gezeigt hat, dass die Aufklärung eben nicht immer aus dem inneren der Religion gekommen ist, sondern sich häufig kritischer Impulse von außen verdankt. Also entweder durch Wissenschaftler oder durch Künstler. Sie formulieren oft Dinge, die zu formulieren sich die Masse der Menschen nicht traut, die vielen vielleicht auch gar nicht einfällt. Manchmal hat - wie in diesem Rapsong - Kunst ja auch eine stellvertretende Funktion. Das Lied von Najafi formuliert etwas, was im Iran viele junge Menschen genauso empfinden. Und das ist natürlich eine Bedrohung für die Ayatollahs.

Über Shahin Najafi wurde in den Medien zwar berichtet, es gab aber nicht so viele Solidaritätsbekundungen wie etwa beim Schriftsteller Salman Rushdie, gegen den 1989 eine Fatwa ausgesprochen wurde. Woran liegt das?

Bahr: Ich glaube zum einen sind Künstler im Moment mit sich selbst beschäftigt, zum Beispiel mit der Zukunft des Urheberrechts. Wenn man überlegt, welche Welle der Wutausbruch von Sven Regener zum Thema Urheberschutz in Deutschland erzeugt hat, dann konnte ich mir einiges vorstellen, was Künstlerkollegen aus Solidarität zu Najafi tun könnten.

"Das Diktat der Mullahs verbreitet sich über die Datennetze."

Außerdem glaube ich, dass uns oft immer noch nicht klar ist, dass in einer globalisierten Welt die Bedrohung der Kunstfreiheit näher rückt. Der Iran ist durch das Internet nicht mehr weit weg. Er ist unter Umständen in der Nachbarschaft zu Hause. Auch das Diktat der Mullahs verbreitet sich über die Datennetze. Das ist vor allem für die folgenreich, die dieser Diktatur entkommen wollten. Denn unter Umständen reicht ja einer, der die Fatwa befolgt. Da hilft es nur, im World Wide Web auch konsequent für die Freiheiten und gegen diese ungeheuerliche Anmaßung zu streiten. 

Im Internet ist jetzt ein Killer-Onlinespiel aufgetaucht, wo man Shahin Najafi abknallen kann, Shiaonline hat 100.000 Dollar Kopfgeld auf ihn ausgesetzt…

Bahr: Der religiöse Fundamentalismus kommt nicht aus dem Mittelalter, er ist eine Reaktion auf die Moderne und baut sich sein schlichtes Weltbild mit modernsten technischen und medialen Mitteln. YouTube und Chatrooms, Filme und Computerspiele, Comics und Musik tragen diese Weltsicht in jeden Winkel dieser Erde. So klingt der Aufruf zur Gewalt so, als könne man dazu tanzen, und an der Spielkonsole kann man nun probehalber einen Musiker zu Tode bringen. Ich glaube, dagegen hilft eine Kultur, die die Angst vor der Freiheit, auch vor der Freiheit der Andersdenkenden, nimmt. Das ist ein zutiefst protestantisches Anliegen!