Jeden Sonntag nach der Messe gibt es Essen für alle, die wollen. "Für ömesönst", erklärt der Kölner Pfarrer Franz Meurer. So ist das auch bei Gemeindefesten. "Sobald etwas Geld kostet, schließt man die Armen aus", sagt der 60-Jährige. Und in der katholischen Gemeinde St. Theodor und St. Elisabeth in den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst ist das ein großer Teil: 40 Prozent bekommen Hartz IV, viele andere liegen mit ihrem Lohn nur wenig darüber.
Deshalb stapeln sich im Kirchenkeller Kleider, Spielzeug, Fahrräder. In der Kinderstadt HöVi-Land der Gemeinde können auch die mitmachen, die für Ausflüge nichts bezahlen können. Sachspenden hat Meurer immer genug - und auch genügend Menschen, die mit anpacken, Kinder betreuen, die Gemeinde reinigen, die Grünflächen im Viertel verschönern. Ohne Geld. "Das klappt", sagt der Pfarrer. In Höhenberg und Vingst kann jeder "zum Club gehören", sagt Meurer. Wer dazu gehört, nimmt, was er braucht, und gibt, was er kann.
"Zinsen sind ein Widerspruch zum Christentum"
Meurers Kirche ist jeden Sonntag voll, und in der Kinderstadt ist der ehrenamtliche Betreuerjob begehrt. "Die Sachen und das Geld sind im reichen Deutschland ja da, man muss sie nur einsammeln und verteilen", sagt der Kirchenmann. Die Bereitschaft, anderen zu helfen, sei so wertvoll. "Dafür brauchen wir kein Geld. Geld schadet bei der christlichen Gemeindearbeit sogar, weil sich dann nicht alle einbringen können."
Weg vom herrschenden Geldsystem will auch eine Gruppe gläubiger Wirtschaftskritiker. Denn auch sie glauben, dass Geld den Menschen schadet. "Durch Zinsen wachsen die Vermögen und gleichzeitig die Schulden, daraus sollten Christen ausscheren", sagt Thomas Ruster, Dortmunder Theologieprofessor und Mitglied der Initiative "9,5 Thesen gegen Wachstumszwang und für ein christliches Finanzsystem". Arme würden ärmer, Reiche reicher, die Geldsumme wüchsen unkontrolliert, während Rohstoffe knapper würden - das Platzen der Geldblasen sei dadurch programmiert.
Die Initiative 9,5 will in deutschen Kirchen eine zinsfreie Kirchen-Mark einführen. Deren Benutzer sollen aus dem üblichen Geldsystem aussteigen - und so gesellschaftlichen Druck aufbauen, "denn die Kirchen mit all ihren Sozialdiensten sind ein Player", sagt Ruster. Im Jahr 2009 schlug die Gruppe am Reformationstag dazu in Anlehnung an Martin Luther Thesen an die Frankfurter Paulskirche - und suchte Gespräche mit den Oberen der Kirchen. Reaktion: wenig bis keine. "Zinsen sind ein Widerspruch zum Christentum, das steht deutlich in der Bibel", sagt Ruster. "Weil die Kirchen aber selber am Wirtschaftskreislauf beteiligt sind, fürchten sie sich, aus dem System auszusteigen. "
"Wirtschaft geht auch ohne Profit im Mittelpunkt"
Die 9,5er wollen deshalb jetzt an die Basis und in einzelnen Gemeinden eine Wirtschaft mit zinsfreier Kirchenwährung aufbauen. "In jeder Gemeinde gibt es Basare, daran knüpfen wir an", erklärt Ruster. Der Plan: Auf einer Talente-Messe bieten Gemeindemitglieder Leistungen an, für die sie im Voraus Kirchen-Mark erhalten. Eine Leistung kann selbstgekochte Marmelade oder Computer-Hilfe sein - Nachbarschaftshilfe wie in Köln-Vingst. Mit der Kirchen-Mark können sie bei anderen Mitgliedern einkaufen. Ihre eigene Leistung ist als Werbung auf den Geldschein gedruckt, der so in Umlauf kommt. Nach einiger Zeit verliert das Geld seinen Wert.
"Es soll im Umlauf bleiben und nicht angehäuft werden", sagt Ruster. Später könnten Gemeinden sich vernetzen und mit Kirchen-Mark handeln. "Die Menschen erfahren dabei, dass Wirtschaft auch anders geht - ohne dass Profit im Mittelpunkt steht." Die Initiative sucht jetzt Pilotgemeinden. "Das Interesse ist bei vielen Christen da", ist sich Ruster sicher.