Es gibt wohl niemanden, den die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nicht tief berührt. Für Deutsche ist es noch einmal ein ganz besonderer Ort. Bundespräsidenten besuchen ihn, Kanzler, Minister. "Wir gedenken hier der sechs Millionen Juden, ermordet von deutschen Nazis und ihren Mittätern", sagt der Zeremonienmeister mit aller Klarheit. Auch Joachim Gauck war hier schon einmal, vor acht Jahren, aber nicht als Bundespräsident. Als er am Dienstag mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt zum Abschluss des Rundgangs durch die Gedenkstätte in Jerusalem das Mahnmal für die ermordeten Kinder verließ, waren beide sehr bewegt. Ihre Emotionen wollten sie nicht verbergen.
Für den Präsidenten Gauck ist es eine Premiere: Staatsbesuch in Israel. "Dies ist ein ergreifender Moment für mich: Sieben Jahrzehnte nach dem am jüdischen Volk begangenen Menschheitsverbrechen der Schoah komme ich als höchster Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zu Ihnen." Vor seinem Besuch in der Gedenkstätte hatte er Israels Präsident Schimon Peres getroffen und Deutschlands Verantwortung für die Sicherheit und das Existenzrecht Israels bekräftigt.
"Deutschland sollte das letzte Land sein, das Israel seine Solidarität aufkündigt"
Peres und Gauck betonten bei ihrem Treffen die besonderen Beziehungen beider Länder. Vor Journalisten in Jerusalem sichterte Gauck im Anschluss Israel im Konflikt mit dem Iran deutsche Unterstützung zu, warnte aber vor einer kriegerischen Eskalation: "Ich will nicht in Kriegsszenarien denken."
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Ein Präventivschlag Israels gegen den Iran stehe nach seiner Einschätzung auch nicht unmittelbar bevor. Die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland seien trotz der historischen Belastung enger als je zuvor.
Gauck wurde auch gefragt, wie er zu der Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel stehe, wonach die Sicherheit Israels zur deutschen "Staatsräson" gehöre. "Ich will mir nicht jedes Szenario ausdenken", sagte der Bundespräsident zu einer möglichen militärischen Intervention. Er stellte aber klar: "Deutschland sollte das allerletzte Land sein, das Israel seine Freundschaft und Solidarität aufkündigt."
Eintrag des Bundespräsidenten ins Gästebuch von Yad Vashem
Auffallend ausführlich fiel der handschriftliche Eintrag des Predigers Gauck in das Gästebuch von Yad Vashem aus. Er schrieb: "Wenn du hier gewesen bist, sollst du wiederkommen. Zuerst nur: die Flut der Gefühle, erschrecken vor dem Ausmaß des Bösen, mitleiden, mitfühlen, trauern - wegen eines einzigen Kinderschicksals oder wegen der Millionen unschuldiger Opfer. Und wiederkommen sollst du, weil auch du wissen kannst: Namen der Opfer - wieviele kennst du? Namen der Täter - deutsche zumeist - Verursacher, Vollstrecker, auch Namen von Schreckensorten wirst du dir einprägen und wirst erschrecken vor dem brutalen Interesse von Herrenmenschen. So wirst du dann hier stehen und dein Gefühl, dein Verstand und dein Gewissen werden dir sagen: Vergiß nicht! Niemals. Und steh zu dem Land, das hier derer gedenkt, die nicht leben durften."
Zuvor bereits hatte Gauck das Grab des früheren Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, nahe Tel Aviv besucht. Zur Delegation des Bundespräsidenten gehört auch der Zentralratsvorsitzende Dieter Graumann. Auf dem Programm stand auch ein Treffen Gaucks mit Überlebenden des Überfalls auf die israelische Olympiamannschaft in München 1972.
Gauck mahnt zu Korrekturen in der Siedlungspolitik
Deutschland sei untrennbar mit Israel verbunden, sagte der Bundespräsident bei einem Staatsbankett am Dienstagabend. "Deutschland und Israel sind aber nicht nur durch die Geschichte miteinander verbunden. Wir bekennen uns auch zu den selben Werten: zur Freiheit, zur Demokratie und zur Achtung der universellen Menschenwürde", sagte Gauck laut Redetext. Er fügte hinzu: "Wir stehen an Ihrer Seite, wenn andere die Sicherheit und das Existenzrecht des Staates Israel in frage stellen."
Das Staatsoberhaupt sagte Israel deutsche Unterstützung zu bei den Bemühungen für einen dauerhaften Frieden: "Ein solcher Frieden setzt voraus, dass Israel und ein unabhängiger, lebensfähiger palästinensischer Staat Seite an Seite in Sicherheit und anerkannten Grenzen leben." Nur mutige Schritte könnten den Stillstand im Friedensprozess überwinden. Gauck rief Israel dazu auf, in der umstrittenen Siedlungspolitik Flexibilität zu zeigen: "Deshalb wünscht mein Land, wünscht die EU sich, und wünsche auch ich mir, dass Israel in der Siedlungspolitik ein Zeichen setzt".
In seiner Rede erinnerte der frühere DDR-Pastor Gauck auch daran, dass die DDR-Machthaber die Verantwortung für die Schoah abgelehnt und stattdessen einen staatlichen Antizionismus verordnet hätten. In den Kirchen und oppositionellen Milieus habe es allerdings Menschen gegeben, die Schuld anerkannt und Trauer zugelassen hätten. "Und so gehört zu dem Glück, das uns mit dem Fall der Berliner Mauer widerfahren ist, auch die Freiheit, sich zu Israel zu bekennen."
"Israel soll in Frieden und in gesicherten Grenzen leben"
Der Staatsbesuch wird in Israel mit Interesse verfolgt. Die liberale Tageszeitung "Haaretz" veröffentlichte am Dienstag ein ganzseitiges Interview mit dem Bundespräsidenten. Darin geht es neben der Person Gauck auch um das deutsch-israelische Verhältnis, den Israel-Kritiker Günter Grass, Radikalisierungstendenzen in Europa und den Iran.
Dazu hatte der Bundespräsident bereits nach seiner Ankunft Stellung genommen: "Was mich mit großer Sorge erfüllt, ist das iranische Nuklearprogramm." Es stelle "angesichts der Äußerungen der iranischen Staatsführung" nicht nur für Israel, sondern auch für Europa eine Gefahr dar, sagte Gauck. Er versicherte, dass die Bundesrepublik für die Sicherheit und das Existenzrecht Israels eintreten werde. "Israel soll in Frieden und in gesicherten Grenzen leben."
Besorgt äußerte sich der Bundespräsident in "Haaretz" über eine aktuelle Umfrage des Magazins "Stern". Darin hatten nahezu 70 Prozent der Deutschen Israels Vorgehen als "aggressiv" eingestuft. Nur noch 36 Prozent finden Israel "sympathisch". Als "Freund Israels" besorgten ihn diese Ergebnisse, auch wenn er Umfragen nicht überbewerte, sagte Gauck. Er trifft am heutigen Mittwoch mit Regierungschef Benjamin Netanjahu zusammen. Dabei dürfte es erneut um das iranische Atomprogramm und um die umstrittene Siedlungspolitik Israels in den palästinensischen Gebieten gehen. Am Abend ist ein Treffen mit Überlebenden des Holocausts geplant.