Bis zum Holocaust erschienen wissenschaftliche Artikel und Lexika zum Judentum auf Deutsch. An dem neuen Zentrum für Jüdische Studien sollen Historiker, Kunst-, Musik-, und Literaturwissenschaftler, Juristen, Religionswissenschaftler, Theologen und Philosophen forschen. Am Mittwoch wird es in Berlin an der Akademie der Wissenschaften eröffnet.
Mehrere Forschungsinstitute und Universitäten sind daran beteiligt: das Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum sowie die dortige Universität, das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, die Berliner Humboldt Universität sowie die dortige Freie Universität.
"Judentum ist eine Religion, aber viel mehr als das", fasst die Koordinatorin des Zentrums, Carola von Braun, das Konzept zusammen. Drei Forschungsbereiche wird es geben: Geschichte des Judentums in Deutschland und der Wissenschaft des Judentums, Erinnerungskultur und Trialog der Religionen. "Gerade beim Thema Christentum, Judentum und Islam wollen wir auf die Forschungen aus der Wissenschaft des Judentums zurückgreifen", sagt Braun.
Liberale und konservative Rabbiner nebeneinander
Die ersten, die den Islam in Deutschland wissenschaftlich erforschten, waren Juden. So gilt zum Beispiel Rabbiner Abraham Geiger (1810-1874) mit seinem Buch "Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?" von 1833 als ein Vordenker der Arabistik und Islamwissenschaft. Geiger war Rabbiner in der Berliner Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße und bildete selbst liberale jüdische Geistliche aus.
Heute trägt ein Potsdamer Rabbinerkolleg seinen Namen. Auch dieses Abraham-Geiger-Kolleg wird zum Zentrum für Jüdische Studien gehören. In den zurückliegenden Monaten hatte dessen Rektor Walter Homolka nach Uneinigkeiten mit dem Land Brandenburg gedroht, mit dem Abraham-Geiger-Kolleg an die Universität Erlangen-Nürnberg oder nach Erfurt zu ziehen. Neben dem liberalen Abraham-Geiger-Kolleg soll es innerhalb des Zentrums für Jüdische Studien eine Ausbildungsstätte für konservative Rabbiner geben.
Entsprechende Verhandlungen seien "weit gediehen", sagt Koordinatorin Braun. Konservative Juden nehmen im Spektrum der jüdischen Richtungen eine Mittelposition ein. Auch eine orthodoxe Ausbildungsstätte für Rabbiner gibt es inzwischen in Berlin: das Hildesheimer-Seminar an der Talmudschule der Lauder-Stiftung, in der junge Männer nach den traditionellen jüdischen Lernmethoden büffeln. In den vergangenen zehn Jahren hat sich in Deutschland viel in Sachen Rabbinerausbildung getan. Noch vor anderthalb Jahrzehnten mussten junge Juden ins Ausland gehen, wenn sie sich zum Geistlichen ausbilden lassen wollten.
"Große Tradition jüdischer Gelehrsamkeit"
Der Bund fördert das Zentrum für Jüdische Studien mit 6,9 Millionen Euro. "Das Zentrum knüpft an die große Tradition jüdischer Gelehrsamkeit in Berlin und Brandenburg an. In dieser Region gab und gibt es eine große Vielfalt jüdischen Lebens", sagt Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Das Zentrum werde über Deutschland hinaus wirken und internationale Ausstrahlung erlangen.
Das länder- und hochschulübergreifende Gemeinschaftsprojekt kann sich auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates stützen. Das Gremium hatte Bestrebungen unterstützt, das religiöse Personal für jüdische Gemeinden liberaler, konservativer und orthodoxer Prägung in Deutschland an den Universitäten auszubilden. Derzeit wird noch Personal für das neue Zentrum gesucht: drei Juniorprofessuren, fünf Post-Doc-Stellen, neun Doktorandenstellen und eine Gastprofessur sind zu besetzen.
Geforscht wird auf Englisch und Hebräisch
Bei der Eröffnung hält eine Forscherin die Festansprache, die wie keine andere für Gegenwart und Vergangenheit der Jüdischen Studien steht: Susannah Heschel vom Dartmouth College New Hampshire in den USA. Ihr Vater Abraham Joshua Heschel studierte in Berlin in den 20er Jahren an der Hochschule für Wissenschaft des Judentums, lehrte am Frankfurter Jüdischen Lehrhaus, floh dann nach England, veröffentlichte in Amerika Bücher über das Judentum, die sich bis heute in den meisten jüdischen Bücherregalen finden.
"Ich habe nicht das Gefühl, dass ich nach Hause komme, aber ich trete das Erbe meines Vater an," sagt die Professorin, die derzeit am Berliner Wissenschaftskolleg arbeitet. Doch über eines ist sie sich sicher: Deutsch werde nicht wieder die internationale Wissenschaftssprache für die Jüdischen Studien werden. "Das sind heute Englisch und Hebräisch," sagt sie.