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Interreligiöses Radio in Polen: Über Gott und die Welt
Im katholischen Polen kommen religiöse Minderheiten in einer Radiosendung zu Wort.
In einer politischen Radiosendung sprechen Vertreter verschiedener Religionen über Glaubensfragen und das Zusammenleben.

Es warten bereits ein Prälat, ein Rabbi der reformierten jüdischen Gemeinde, ein Theologe der Orthodoxie sowie ein Geistlicher der evangelisch-augsburgischen Kirche. Und schließlich tritt auch der Imam in den Vorraum zum Aufnahmestudio.

"Prima, es kann los gehen" meint Radio-Redakteurin Grazyna Luber-Halbersztat recht erleichtert - alle konnten pünktlich kommen, obwohl heute die Warschauer Straßen so verstopft sind.

Radio für Dich

Tomasz Wisniewski, langhaariger Philosophie-Dozent der Universität Warschau und Moderator des gleich folgenden Gesprächs unter dem Titel "O moj Boze" (Oh mein Gott) lädt seine Gäste in den Aufnahmeraum.

Die Atmosphäre ist vertraut, einige kennen sich. Lukasz Leonkowicz, dem Orthodoxen mit der Pferdeschwanz-Frisur wird herzlich zur Vaterschaft gratuliert. Das passt, denn heute geht es um die Familie. Frau Luber-Halbersztat gibt vom Regieraum das Signal. Es kann losgehen.

Seit Sommer letzten Jahres treffen sich Vertreter verschiedener Religionen wie Konfessionen wöchentlich im Studio des staatlichen Regionalradios "Radio dla Ciebie" (Radio für Dich).

"Gewalt ist Sünde"

Themen wie "Was ist Monotheismus", "die Geheimnisse Jesu", die Strafe ist proportional zur Schuld" werden dann ausgehandelt, meist höflich, manchmal auch heftig.

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Das heutige Sujet klingt unverfänglich; doch Tomasz Wisniewski erklärt gleich zum Auftakt, dass er aufgebracht sei: der polnische Justizminister Jaroslaw Gowin stellt sich gegen ein geplantes EU-Gesetz, das "häusliche Gewalt" bekämpfen will. Der konservative Gowin argumentiert, es sei zu feministisch gehalten und verstoße gegen die christliche Tradition Polens.

Gehört Gewalt etwa in eine polnische Familie fragt der Moderator, ist sie religiös motiviert? Prälat Bogdan Bartold verneint: "wir stehen auf der Seite der menschlichen Würde, Gewalt ist Sünde. Der Nächste ist Deine Ehefrau oder Deine Kinder."

Schlagtechnik, die keine blauen Flecken hinterlässt

Auch der evangelische und der orthodoxe Geistliche betonen, dass Gewalt in der Familie jeglicher religiösen Grundlage entbehrt. Rabbi Stas Wojciechowicz weist darauf hin, dass Gott am siebten Tage die Ehe geschaffen habe, komme dort Gewalt vor, so sei es keine Ehe mehr.

Nur Nezar Sharif vom "Zentrum für Kultur des Islam" weicht von seinen Vorrednern ab – er zitiert unaufgefordert die bekannte Sure 4, Vers 34: "meidet sie im Ehebett und schlagt sie", heißt dort die Empfehlung bei aufmüpfigen Gemahlinnen.

Die Studiogäste machen etwas lange Gesichter, doch Sharif krempelt einen Hemdsärmel hoch und demonstriert an seinem nackten Arm eine Schlagtechnik, die keine blauen Flecken bewirke.

Musikpause. "Sei nicht so aufgebracht, Tomek", rät Frau Luber-Halbersztat ihrem Moderator für die restliche halbe Stunde.

Mehr Aufmerksamkeit für religiöse Minderheiten

"Wir erhalten sehr viele positive Reaktionen", sagt die Regisseurin, "und zwar aus allen Altersschichten". Die Hörer begrüßten es, dass das Thema "Religion" nicht allein mit der katholischen Kirche verbunden werde.

Denn so war das zuvor - im Vorgängerprogramm liefen allein Gespräche mit katholischen Geistlichen und katholischen Journalisten. Dies ist nicht weiter verwunderlich: über 90 Prozent der Polen sind römisch-katholischen Glaubens. Die Orthodoxen zählen 500.000, die Lutheraner 80.000, Reformierte, Juden und Muslime sind nur durch wenige Tausend im Land vertreten.

Nach dem Tod von Johannes Paul II ließ jedoch die Autorität der katholischen Kirche deutlich nach – heute besuchen nur noch 41 Prozent der Polen die Messe, neun Prozent weniger als vor 20 Jahren. Die religiösen Minderheiten erhalten gleichzeitig immer mehr Aufmerksamkeit in den Medien.

"Familie hilft bei Erlösung"

Bei einer Konferenz leitender Redakteure beschloss man dann den anderen Glaubensrichtungen auch in "Radio dla Ciebie" eine gleichberechtigte Stimme zu geben. "Was ist nun die Familie, definiert durch die Religion?", fragt Wisniewski nach der Pause.

"Wenn man die Kirche als Organismus, versteht, so ist sie eine Zelle, sie ist die grundlegende Form des kirchlichen Lebens", so Wojciech Pracki, Referent des Vorsitzenden der lutherischen Bischöfe.

"Es ist die kleinste Einheit der Liebe", meint der katholische Priester, "die Familie hilft auf dem Weg zur Erlösung" erklärt der Neu-Vater orthodoxer Glaubensrichtung.

"Manche Frauen wollen herrschen"

"Grundlegend" nennt der 34-jährige Rabbi die Familie, "dort wird die Geschichte weiter vermittelt, dass Gott das jüdische Volk aus Ägypten befreit hat. Die aktuellen "Alternativen" zu der Familie seien eine Herausforderung, der sich das liberale Judentum stellen  müsse.

Der Imam sieht sich noch einmal gezwungen, seine Sure zu rechtfertigen; es gebe wissenschaftliche Studien, die belegten: "Manche Frauen wollen eben herrschen".

"Ha" ruft Frau Luber-Halbersztat im Regieraum und somit unhörbar für die Gäste, "das hat man mir gestern auch schon mal vorgeworfen".

"Die Familie ist Sakrament, Träger der Tradition, Element der Evangelisierung - oder kann man davon auch abrücken?" wirft der Moderator ein.

Katholische Kirche von "Kräften" bedrängt

Wojciech Pracki erklärt der (vornehmlich katholischen) Hörerschaft, dass die Ehe bei den Lutheranern kein Sakrament sei und dass die Ehepartner ihre Regeln selbst finden müssten. Die patriarchalen Zeiten, damals auch von Martin Luther definiert, seien vorbei.

Doch die Freiheit hat Grenzen: eine Heirat von Homosexuellen komme in der evangelisch-augsburgischen Kirche nicht in Frage, mag das bei protestantischen Kirchen im Ausland auch anders sein.

"Die Gläubigen erwarten von uns klare Grundsätze" erklärt der katholische Geistliche, der beklagt, dass die katholische Kirche in Polen von "Kräften" bedrängt werde, Homosexuelle anzuerkennen. Gemeint ist das liberale Millieu um die einflussreiche Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" sowie um die linksliberale Partei (Bewegung Palikot), die im Oktober ins polnische Parlament einziehen konnte.

"Religiös motivierte Konflikte gibt es nicht"

Auch der orthodoxe Theologe findet strenge Worte, eine "sündhafte Versuchung" nennt er die gleichgeschlechtlichen Neigungen. Sollten sie von den homosexuellen Mitgliedern der Gemeinde "manifestiert" werden, so würde man die Betreffenden von der Kirche ausschließen.

Zum Schluss erklärt der arabischstämmige Imam noch, dass das Schariarecht nur eingesetzt werde, wenn es die Menschen von Herzen wollten; der Rabbi äußert sich kurz zum Problem ultraorthodoxer Juden in Israel und dem Nachlassen der Traditionen bei Juden in Amerika - dann eilen die Teilnehmer aus dem Studio.

Tomasz Wi?niewski hat ein wenig mehr Zeit: ja, er ist mit der heutigen Diskussion zufrieden, es kam viel zur Sprache. Auch er hält es für sehr wichtig, dass die Hörer andere Glaubensrichtungen kennen und verstehen lernen. Der Moderator verbindet mit seinem Tun ein weiteres Anliegen: er ist davon überzeugt, dass alle Religionen Grundwerte enthalten, die das menschliche Zusammenleben regeln. Religiös motivierte Konflikte und Ausschreitungen gebe es darum eigentlich nicht. "Die Religion ist bei den Zusammenstößen, die wir in den Medien wahrnehmen, nur ein Vorwand für Beweggründe anderer Art."