Anders als bislang bekannt betrieben auch die konfessionellen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas vor allem in den 50er und 60er Jahren noch viele Kinder- und Jugendheime. Die dortige Erziehungspraxis habe sich zwar sehr von den staatlichen DDR-Heimen unterschieden, nicht jedoch von der Praxis in westdeutschen Einrichtungen, resümieren die Wissenschaftler, der Politikwissenschaftler Christian Sachse und der Sozialethiker Karsten Laudien von der Evangelischen Fachhochschule Berlin.
Laut ihrer für das Bundesinnenministerium erstellten Expertise gab es in den 50er Jahren mindestens noch 152 kirchliche Kinder- und Jugendheime mit knapp 9.300 Plätzen, möglicherweise sogar 184. Knapp ein Drittel davon lag in Brandenburg, etwa ein Fünftel in Sachsen. Offiziell waren sie keine Einrichtungen der Jugendhilfe, gleichwohl wurden bis zu 40 Prozent ihrer Bewohner von den staatlichen Jugendhilfekommissionen eingewiesen.
Heime für politische motivierte "Umerziehung"
Die DDR war laut Expertise das einzige Ostblock-Land, in dem die Unterbringung in Heimen nicht durch Gerichtsbeschluss, sondern aufgrund einer behördlichen Entscheidung erging. Den Jugendhilfekommissionen gehörten in der Regel keine Fachleute, sondern Funktionäre und "verdiente Werktätige" an. Die von ihnen verfügten Einweisungen in staatliche Heime hatten oft keine sozialfürsorglichen Gründe, sondern dienten ausdrücklich einer politisch motivierten "Umerziehung".
Wie viele der 435.000 DDR-Heimkinder in kirchlichen Einrichtungen untergebracht waren, lässt sich derzeit nicht beziffern. Es sei auf jeden Fall nur ein Bruchteil, so die Wissenschaftler. In Westdeutschland dürften 70 bis 80 Prozent der rund 800.000 Heimkinder in den 50er und 60er Jahren in Heimen von Diakonie und Caritas gelebt haben.
Jugendwerkhöfe und kirchliche Kinderheime
Als sicher gilt dagegen, dass rund ein Drittel der DDR-Heimkinder in den Jugendwerkhöfen und anderen staatlichen Spezialkinderheimen oft schwersten Misshandlungen ausgesetzt waren. Aber auch der Lebensalltag in den sogenannten Normalheimen sei mit der sozialistischen Disziplinierung, der mangelhaften Schulausbildung, der politisch verordneten Geschwistertrennung sowie aufgrund von häufigen Prügelstrafen generell als "Heimerziehungsunrecht" zu bezeichnen, stellen die Wissenschaftler Laudien und Sachse fest.
Ähnliches dürfte in kirchlichen Einrichtungen nicht vorgekommen sein. Allerdings sei anzunehmen, dass sich die konfessionelle Heimerziehung in der Sowjetischen Besatzungszone sowie in der DDR nicht von der in Westdeutschland unterschieden habe, heißt es dazu in der Expertise. Mitunter gab es sogar staatliche Instanzen wie den Ost-Berliner Magistrat, die sich "rückständige Erziehungsmethoden" wie Ohrfeigen in der ideologischen Bekämpfung kirchlicher Einrichtungen zunutze machten. Weil diese politisch als "unzuverlässig" galten, sollte ihnen schon in den 50er Jahren das Wasser abgegraben werden. Von daher reduzierte sich die Bettenzahl bis 1987 um 81 Prozent.