Schlechte Menschen sind oft die interessanteren Filmfiguren. Nicht nur weil es spannender anzusehen ist, wie ein Bösewicht Intrigen schmiedet, als wie ein braver Held ein gutes Leben führt. Man möchte auch wissen, was hinter dem Bösen steckt: Was muss passieren, um einen Menschen zu Bosheit und Grausamkeit zu treiben? So ähnlich muss es den Machern von "Snow White and the Huntsman" gegangen sein.
Denn Charlize Theron stiehlt als böse Königin Ravenna in diesem Film Snow White eindeutig die Schau. Knapp zwei Monate nach der schrill-bunten Schneewittchen-Komödie "Spieglein Spieglein" setzt die neueste Märchenverfilmung auf düstere Bilder und Grusel-Elemente. In "Snow White and the Huntsman" isst die böse Königin Vogelherzen und saugt jungen Mädchen das Leben aus, um nicht zu altern.
In den Anfangsszenen des Films, in denen Ravenna die Macht im Reich von Snow Whites Vater ergreift, bleibt die Titelheldin eher eine Randnotiz - ein reizendes Mädchen, das kranke Vögel pflegt, auf Bäume klettert und später, von ihrer Stiefmutter im Turm eingesperrt, das "Vater Unser" betet. Die böse Königin bekommt dagegen eine Vergangenheit, eine verletzliche Seite und einen Bruder. Charlize Theron liefert als grausame, aber auch selbst getriebene Ravenna die stärkste schauspielerische Leistung des Films.
Größeren Raum bekommt - anders als im Märchen - auch der Jäger, der Snow White im Auftrag der Königin ermorden soll. Er schlägt sich stattdessen auf die Seite der Prinzessin. Chris Hemsworths Huntsman hat dabei weitaus mehr Tiefe als die Figur des Prinzen: Der bleibt eine blasse Nebenrolle, noch nicht mal sein obligatorischer Kuss zeigt Wirkung.
"Snow White and the Huntsman" fügt sich ein in eine Reihe von neuen Märchenfilmen, in denen die zarten Prinzessinnen sich emanzipieren, selbst ihr Schicksal und manchmal sogar ein Schwert in die Hand nehmen. Kristen Stewart kämpft als Snow White am Ende wie die Heldin in Tim Burtons "Alice im Wunderland" in einer Ritterrüstung gegen ihre Widersacher. Der Prinz und der Huntsman halten ihr da nur noch den Rücken frei.
Die Verwandlung zur furchtlosen Kriegerin
Bis es so weit kommen kann, ist es allerdings ein langer Weg: So muss Kristen Stewart in der ersten Filmhälfte meist mit verschrecktem Blick und offenem Mund mal aus dem Schloss, mal aus den finsteren Wald fliehen und verzaubert mit ihren Rehaugen die Tiere des Waldes, die sieben Zwerge und sogar einen Troll. Erst als ihr der Prinz klarmacht, dass die Menschen im Königreich in ihrem Namen gegen die Königin aufbegehren könnten, beginnt ihre Verwandlung zur furchtlosen Kriegerin. "Es bedarf mehr als eines Namens", sagt sie da - für eine Märchenprinzessin, die ihr halbes Leben in einem Turm eingesperrt war, ein durchaus bemerkenswerter Satz.
Bei allen interessanten Ideen und kreativen Umdeutungen der klassischen Geschichte hätte man dem Film aber mehr Mut zum Extrem gewünscht: "Snow White and the Huntsman" bleibt in großen Teilen ein klassischer Hollywood-Märchenfilm mit Erzähler, opulenter Ausstattung, epischen Kampfszenen und niedlichen Tieren. Ironie blitzt nur kurz auf in den Szenen mit den sieben Zwergen, die bärbeißige und ziemlich brutale Trunkenbolde sind. Auch die eindrucksvolle Horror-Ästhetik wird nicht konsequent durchgehalten, sondern eher für kurze Schockeffekte eingesetzt. Und so bedauert man fast, dass Snow White am Ende die böse Königin tötet - wäre deren weiteres Leben doch sicherlich viel interessanter.
USA 2012. R: Rupert Sanders. B: Evan Daugherty, John Lee Hancock, Hossein Amini. Mit Chris Hemsworth, Kristen Stewart, Charlize Theron, Toby Jones, Ian McShane, Ray Winstone, Nick Frost, Sam Clafin. L: 118 Min. FSK: 12, ff.