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Muslim im Ethikrat: "Gleichberechtigte Diskussionspartner"
Der Mainzer Medizinethiker Ilhan Ilkilic forscht seit Jahren über interkulturelle Konflikte im deutschen Gesundheitswesen und den bioethischen Diskurs in der islamischen Welt. Im Frühjahr 2012 wurde er als erster Muslim zum Mitglied im Deutschen Ethikrat ernannt. Ein Interview über seine Rolle in dem Sachverständigengremium, das Regierung und Parlament in Grundsatzfragen berät, und die islamische Sicht auf ethische Grundsatzfragen.
28.05.2012
epd
Karsten Packeiser

Herr Ilkilic, wen vertreten Sie im Ethikrat?

Ilhan Ilkilic: In Deutschland leben vier Millionen Muslime und ich bin einer davon. Meine Aufgabe im deutschen Ethikrat sehe ich darin, muslimischen Wertvorstellungen und Haltungen in all ihrer Vielfalt Gehör zu verschaffen. Ich bin aber im offiziellen Sinn kein Vertreter der Muslime. Das kann ich nicht beanspruchen, und das möchte ich auch nicht. Ich verstehe mich auch nicht als Sprachrohr bestimmter Institutionen. Ich denke, entscheidend für meine Berufung war nicht allein meine Religionszugehörigkeit, sondern meine Fachkompetenz und die Forschungsarbeit der vergangenen Jahre.

Glauben Sie, dass Sie als Muslim in dem Gremium besondere Akzente setzen können?

Ilkilic: Es kann durchaus sein, dass ich mit meiner Auffassung in der Minderheit bin und noch nicht einmal in der Stellungnahme berücksichtigt werde. Es geht aber nicht darum, dass bestimmte Regelungen nach den Wünschen einzelner Religionsgruppen getroffen werden. Es geht darum, dass Menschen aus anderen Kulturkreisen als gleichberechtigte Diskussionspartner berücksichtigt werden. Höhere Erwartungen habe ich nicht.

Vertreten Sie denn häufig eine Außenseitermeinung?

Ilkilic: Gewiss werde ich nicht zu jeder Frage ein Sondervotum abgeben, sondern mich durchaus innerhalb der im Ethikrat vertretenen Positionen wiederfinden. Wenn es um das Verbot aktiver Sterbehilfe geht, dann stehe ich auf der Seite der Kirchen. Beim Thema Präimplantationsdiagnostik bin ich allerdings nicht auf der Seite der Katholiken, sondern bei den liberalen Stimmen.

"Eigene Kinder spielen in der islamischen Welt eine zentralere Rolle"

Gibt es in bioethischen Fragen eigentlich grundlegende Unterschiede zwischen dem islamischen und westlichen Kulturkreis?

Ilkilic: Es werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Das Gesundheitssystem in vielen muslimischen Ländern funktioniert bekanntlich nicht einwandfrei. Wenn es bei der Basisversorgung behandelbarer Krankheiten enorme Probleme gibt, dann ist eine Diskussion über Embryonen verbrauchende Stammzellforschung gewissermaßen ein Luxusthema. Andere Fragen werden trotzdem intensiver debattiert als in Deutschland - etwa die In-vitro-Fertilisation, also die künstliche Befruchtung im Reagenzglas. Das hat damit zu tun, dass eigene Kinder in der islamischen Welt eine viel zentralere Rolle für ein gelungenes Leben spielen, und dass Adoptionen in manchen Ländern der islamischen Welt verboten sind.

Wen erkennen gläubige Muslime in Deutschland als Autorität in ethischen Fragen an?

Ilkilic: Das hängt davon ab, in welcher muslimischen Gruppe jemand sozialisiert ist. Oft bitten Muslime vor schwierigen persönlichen Entscheidungen einen vor Ort leicht erreichbaren Imam um Rat, obwohl das eigentlich nicht zu dessen Aufgaben gehört. Für türkische Muslime spielen die Entscheidungen der Religionsbehörde Diyanet in Ankara eine wichtige Rolle. Dort werden täglich mehrere Hundert individuelle Anfragen beantwortet. Ein typisches Anliegen wäre zum Beispiel: "Ich muss morgens, mittags und abends Medikamente einnehmen. Darf ich im Fastenmonat Ramadan fasten?" Wenn der Fragesteller eine Antwort erhalten hat, liegt es an ihm, ob er sich an den Ratschlag hält.

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Kollidieren die ethischen Überzeugungen von Muslimen und deutscher Mehrheitsgesellschaft im medizinischen Alltag häufig?

Ilkilic: In modernen westlichen Gesellschaften wird die Patientenautonomie sehr hoch gewichtet. Im muslimischen Kulturkreis kommt es häufiger vor, dass Angehörige sagen: "Wir möchten nicht, dass unser Vater oder unsere Mutter die Diagnose Krebs erfährt." Wenn der Arzt die Diagnose verschweigt, kann das juristische Konsequenzen haben. Wenn er sie dem Kranken mitteilt, gehen die Angehörigen auf die Barrikaden. Oder es gibt Situationen, in denen Ärzte eine aussichtslose intensivmedizinische Behandlung einstellen wollen, die Familie aber widerspricht: "Nach unserem Glauben muss das fortgesetzt werden. Eine andere Entscheidung können wir im Jenseits vor Gott nicht rechtfertigen."

Was raten Sie den Ärzten?

Ilkilic: Diese Konflikte gibt es auch bei nichtmuslimischen Patienten. Nicht die Position für oder gegen eine Therapie ist das Fremde, sondern die Argumente sind ungewohnt. In der Praxis fühlen sich die Ärzte damit oft überfordert. Wenn man Wissen über andere Kulturen hat, hilft es, die Kommunikation anders zu gestalten. Aber eine Patentlösung für alle interkulturellen ethischen Probleme in der medizinischen Praxis gibt es nicht.