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Markus Horlebein, ein Mitarbeiter der Weinberggruppe der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in Großheubach (Kreis Miltenberg), zeigt in Klingenberg am Schlossberg einen Bocksbeutel mit Riesling aus der eigenen Produktion.
Ganz normaler Wein
Was für viele Winzer zu anstrengend und zeitaufwendig ist, macht ihnen ganz besonders viel Freude: In den steilen Terrassenlagen am Untermain bauen Mitarbeiter einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung Wein an.
27.05.2012
epd
Daniel Staffen-Quandt

Behutsam steckt Yvonne Friedrich den Rebstock in das kleine Loch vor sich, schiebt lockere Erde hinein und drückt sie fest. "Spätburgunder", sagt die 39-Jährige und geht zum nächsten Loch. Die Arbeit im Klingenberger Schlossberg geht langsam voran, dafür sitzt jeder Handgriff. Yvonne Friedrichs Gesichtsausdruck ist konzentriert, sie beißt sich leicht auf die Unterlippe. Die Arbeit in den Terrassenlagen am Untermain ist aufwendig, immer mehr Weinberge liegen brach. Doch für Menschen mit Behinderung wie Yvonne ist die Arbeit dort perfekt.

Conrad Schuster steht ein paar Meter abseits und beobachtet Yvonne Friedrich. "Drück' die Erde ruhig noch fester an", ruft ihr der 51-jährige Winzer zu. Zusammen mit einem Kollegen leitet er die Weinberggruppe der Werkstatt für behinderte Menschen in Großheubach bei Aschaffenburg. "Wir sind fast jeden Tag draußen in den Weinbergen, wenn es was zu tun gibt", sagt Schuster. Auch bei Regen, Schnee, Wind, Minusgraden. "Wir arbeiten mit der Natur - also müssen wir sie auch aushalten", findet der Winzer.

Etikettiert und vertrieben in Eigenregie

Die zwölf Mitarbeiter mit Behinderung und ihre beiden Chefs sind in der deutschen Werkstatt-Szene Exoten. Weingüter, die auch Mitarbeiter mit Behinderungen einstellen, gibt es viele. Ein Weingut jedoch, in dem vom Rebschnitt bis zur Weinlese alle Arbeiten fast ausschließlich von Menschen mit Behinderung übernommen werden, das gibt es nur in Großheubach. Vieles läuft deshalb langsamer ab als in den Weinbergen nebenan. Am Ende aber entscheidet allein die Qualität des Weins. Und die muss top sein.

"Das ist unser Weinberg", sagt Yvonne Friedrich und beschreibt damit kurz und knapp das Erfolgsrezept der "Gute-Laune-Winzer", wie sich die Gruppe nennt. Anders als bei den meisten Arbeiten in einer Behindertenwerkstatt geht es im Weinberg nicht um zerteilte Arbeitsprozesse, nicht ums Zusammenstecken von Bauteilen, die man am Endprodukt oft kaum noch sieht. "Wir begleiten unsere Weinberge durch den Jahreslauf - jeder kann genau sehen, was aus der eigenen Hände Arbeit wird", sagt Schuster: "Das motiviert!".

Was 1998 als Projekt in Kooperation mit dem damals noch städtischen Weingut Klingenberg begann, ist heute ein Selbstläufer. Inzwischen hat die Weinberggruppe acht Parzellen am Klingenberger Schlossberg und zwei am Großheubacher Bischofsberg - insgesamt ein Hektar Weinberg, aus dessen Trauben jedes Jahr bis zu 5.000 Liter Weiß- und Rotwein in Bioqualität werden. Ausgebaut und in Flaschen abgefüllt wird der Wein zwar nicht von der Gruppe, "das lohnt sich bei einem Hektar nicht", sagt Winzer Schuster. Etikettiert und vertrieben wird aber in Eigenregie.

 

"Was wir machen ist wirklich Integration"

Die Plätze in der Weinberggruppe sind vor allem bei jungen Mitarbeitern begehrt - und das, obwohl die Arbeit anstrengend und oft auch unregelmäßig ist. "In der Zeit der Weinlese herrscht Hochbetrieb, da wird auch samstags gearbeitet", sagt Winzer Schuster. Trittsicherheit ist an den Steilhängen Pflicht, schwindelfrei sollte man ebenfalls sein. "Für Menschen mit schwerer körperlicher Behinderung ist diese Arbeit nichts". Leichte Einschränkungen seien hingegen kein Problem.

Yvonne Friedrich hinkt ein wenig, als sie durch den Weinberg von Loch zu Loch läuft. Sie ist von Anfang an dabei: "Yvonne damals und heute - das ist wie Tag und Nacht", sagt Conrad Schuster. Vor 14 Jahren, als junge Frau, sei sie nur gebückt gelaufen, habe verstört und eingeschüchtert gewirkt, erzählt er. Inzwischen gehe sie offen auch auf fremde Menschen zu, die Arbeit im Freien habe sie "aufblühen" lassen. Das sieht sie auch selbst so: "Am besten finde ich, dass ich hier auch mit Menschen ohne Behinderung Kontakt habe, anderen Winzern und so." "Was wir hier machen, ist wirkliche Integration", sagt Schuster.

Die Gruppe übernimmt auch Auftragsarbeiten für andere Winzer, vom Entlauben der Reben bis zur Ernte. "Die Männer und Frauen verstehen ihr Handwerk", sagt Schuster, die Aufträge seien der beste Beweis: "Kein Winzer lässt jemanden an seine Reben, wenn er Angst haben müsste, dass damit Schmu passiert."

Die Arbeit geht den "Gute-Laune-Winzern" nicht aus

Der Nachwuchs wird deshalb auch sorgfältig ausgesucht. Stefan Reit steht momentan auf der Anwärterliste. "Körperlich im Freien zu arbeiten, das macht mir Spaß, nicht in einer Halle", sagt der 19-Jährige, während er Löcher für neue Weinstöcke aushebt.

Die Arbeit geht den "Gute-Laune-Winzern" nicht aus. Immer öfter bekämen sie neue Weinberge angeboten, erzählt Schuster: "Wir haben unsere Obergrenze erreicht. Mehr geht derzeit einfach nicht."

Insofern ist die Werkstattgruppe Großheubach eben doch kein ganz gewöhnliches Weingut. Ein guter Wein ist zwar jedes Jahr aufs Neue ein wichtiges Ziel der Gruppe. Noch wichtiger aber sind die Menschen, die im Weinberg arbeiten. "Fördern und fordern ja", sagt Schuster, "aber bitte nicht überfordern".