Irgendwann an diesem Abend setzt sich der US-Amerikaner Dan Barker ans Klavier und fängt an zu singen: "Religiöse Dogmen machen dich blind", schmettert er ins Mikrofon. 19 Jahre lang war Barker evangelikaler Prediger und hielt flammende Reden für Jesus. Inzwischen hat der bekennende Atheist eine andere Mission. Mit dem christlichen Glauben hat er gebrochen, jetzt will er zum Glauben an die Vernunft bekehren.
Barker ist einer von rund 200 Freidenkern, Atheisten und Humanisten, die in Köln an einer atheistischen Tagung im Comedia-Theater teilnehmen. Zeitgleich zum Pfingstfest veranstaltete der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten zusammen mit der Atheist Alliance International eine dreitägige Konferenz, die am Sonntag zu Ende ging. Ein Großteil der rund 200 Teilnehmer kam aus Deutschland, aber auch Iren, Niederländer und Österreicher waren dabei.
Im Mittelpunkt stand vor allem die Kritik an der Institution Kirche. Dem deutschen Diplom-Informatiker René Hartmann, erster Vorsitzender des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten, geht es vor allem um die Trennung von Staat und Kirche. "Wir sind für die Abschaffung der kirchlichen Privilegien", sagt Hartmann. Immer wieder werden daher in Köln das kirchliche Arbeitsrecht, aber auch die Staatskirchenleistungen und der Religionsunterricht an staatlichen Schulen kritisiert.
Evolutionstheorie als Gegenpol zur Religion
In dem fensterlosen Veranstaltungssaal folgt Redner auf Redner. Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon wettert gegen eine "religiotische Verseuchung" und die "Infektion mit idiotischen Hirnwürmern". Der Vorstandssprecher der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung ist überzeugt: "Je unrealistischer, je grotesker, je gefährlicher eine kulturelle Vorstellung ist, desto höher ist der Aufwand, sie in die Köpfe der Jüngsten einzupflanzen."
Viele Tagungsteilnehmer sind Vertreter des neuen Atheismus, der sich auf die naturwissenschaftliche Erkenntnis der Evolutionstheorie stützt. Diese wird in Köln als Gegenpol zur Religion konstruiert.
Das von atheistischen Verbänden gezeichnete Kirchenbild stößt indes bei der Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bahr, auf Unverständnis. Zelebriert werde hier ein Zerrbild, das auf mittelalterlichen Vorstellungen basiere, sagt sie. "Auch das Christentum hat einen Prozess der Aufklärung hinter sich", sagt Bahr. Religionskritik sollte sich auf dem Niveau abendländischer Religionskritik bewegen, fordert die Theologin.
"Aus Humanität etwas besser machen"
Einer, der in der Religion eine Vorstufe zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis sieht, ist der Hamburger Ex-Pastor Paul Schulz. Der so genannte Ketzer-Pastor, dem 1979 wegen der Leugnung Gottes in einem Lehrzuchtverfahren das Pfarramt entzogen worden war, macht ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu seiner Überzeugung: "Religion, Theologie und Naturwissenschaft stehen in einer Linie", sagt Schulz. "Ohne Religion als Kulturstufe gäbe es uns nicht." Ehe er eine atheistische Enzyklopädie vorstellt, ergänzt er: "Wir sind heute in einem begnadeten Zustand der Erkenntnis."
An Bekenntnisbereitschaft mangelt es in Köln nicht. Vergleichbar so manchem "Jesus liebt Dich"-Shirt evangelikaler Christen tragen einige Teilnehmer T-Shirts mit der Aufschrift "Gottlos glücklich" oder "religion is garbage" (deutsch: Religion ist Müll). Ein junger Mann hat die Aufschrift "Atheist inside" auf seiner Brust. "Mir geht es darum, nicht nur keinen Glauben zu haben, sondern aus Humanität etwas besser zu machen", sagt der Computerverkäufer aus Gießen.
Die EKD-Kulturbeauftragte Bahr zeigt sich angesichts des atheistischen Vernetzungstreffens gelassen. Christen sollten bei der Kritik der Atheisten weder beleidigt sein noch in "ostentative Ignoranz" verfallen. Die Theologin rät: "Die Kirchen müssen zum christlichen Glauben als tragbarer Lebensgrundlage einladen. Das Christentum versteht sich nicht mehr von selbst."