Der ESC trägt in diesem Jahr das Leitmotiv "Light Your Fire" - zu deutsch: Entzünde dein Feuer. Aber es geht hier sicherlich nicht um das Licht der Aufklärung, das leuchten soll. Professionell und intelligent hatten die Kritiker der Situation in Aserbaidschan und der Regierung als einen Slogan bei ihren Demonstrationen, die zumeist in Null-Komma-Nichts durch Festnahme aufgelöst werden, das Leitmotiv verballhornt: "Fight Your Liar", Bekämpfe deinen Lügner. Gemeint ist Präsident Ilcham Alijew, der seit knapp neun Jahren das Land regiert und diese Stelle vom Vater Heydar Alijew übernahm. Dieser hatte zuvor seinerseits zehn Jahre regiert, war bereits in der Sowjet-Republik Aserbaidschan ein mächtiger Mann und später zudem in Moskau Mitglied im Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.
###mehr-artikel###
Ein zweiter Slogan der Opposition, ebenfalls in Anlehnung an die Schlager-Europa-Meisterschaft, fordert: "Sing for Democracy." Die Kampagne "Singen für die Demokratie" ist auf zehn Monate angelegt und nutzte während der beiden Eurovisions-Wochen ein Bündnis verschiedener aserbaidschanischer Menschenrechts-Organisationen, um auf die Situation im Land hinzuweisen. Die Liste ihrer Themen ist lang: Politische Gefangene, neutrale Berichterstattung im öffentlichen Fernsehen über alle politischen Kräfte im Land, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Demonstrations-Recht, Achtung der Eigentumsrechte, Rechtsstaatlichkeit und eine Liberalisierung der Visums-Bestimmungen. "Zu den Sing-for-Democracy"-Veranstaltungen gehörten eine tumultartige Podiumsdiskussion, ein Konzert unter extrem erschwerten Umständen, eine Pressekonferenz. In der erläuterten der Menschrechtsaktivist Rasul Jafarov und der Journalist Emin Huseynov die Probleme in ihrem Land, in dem sieben Journalisten im Gefängnis sitzen.
Scharfe Worte zwischen Regierungstreuen und Opposition
Außerdem sprach Dr. Leyla Yunus. Ihr wurde im vergangenen Sommer unangemeldet das Haus abgerissen, als sie im Ausland war und kurz nachdem die New York Times über ihre Arbeit berichtet hatte, in der sie gern die aserbaidschanische Herrscher-Familie hinterfragt. Genau solche Abrissarbeiten waren vielen anderen Familien auch passiert. Auf den so entstandenen Plätzen entstehen die Mammut-Bau-Projekte der Alijews. Auch bei der Pressekonferenz in der Eurovisions-Zeit sprach Leyla Yunus über den "Mafia-Clan", der das Land beherrsche. Sie ist eine Gegnerin des Gesangs-Wettbewerbs in Baku. In Bezug auf die Vertreibungen von zehntausenden Menschen aus ihren Häusern ist sie sich sicher: "Die Eurovision hat das beschleunigt."
Blick über Baku, im Hintergrund die "Flammentürme", das Wahrzeichen der Stadt. Foto: Jens Gesper
Einige ihrer Sing-for-Democracy-Kollegen haben da einen pragmatischeren Ansatz und sehen die Möglichkeiten, die die breite Medien-Präsenz in Baku bietet. Emin Huseynov wünschte sich jedenfalls zum Abschluss der Pressekonferenz, dass Aserbaidschan noch mal gewinne. Offenbar konnten die Aktivisten mit solchen Unterschieden in ihren Reihen problemlos umgehen, deutlich anders war das mit den Herren der Gegenseite, die den Pressekonferenz-Veranstaltern bereits bei deren Eingangsstatements immer wieder lautstark ins Wort fielen. Die regierungsfreundlichen Journalisten bezweifelten beständig Zahlen und Motivation der Opposition. Aus ihren Einwürfen sprach die Grundüberzeugung, dass in einem Land, wo alles so gut läuft, Opposition einfach nicht nötig sei. Dabei sinkt auch in Aserbaidschan das Wirtschaftswachstum (2011: 0,2 %) auf jeder Zehnte lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Schnell warfen die Regierungstreuen der Oppositions auch mangelnden Patriotismus vor, gerade in Sachen Bergkarabach gespielt, ein von Armenien seit rund 20 Jahren besetzter Teil von Aserbaidschan. Für Leyla Yunus war das allerdings die perfekte Vorlage, um zu erzählen, wie sie selbst von Mai 1992 bis Februar 1993 in der Armee und auch an der Front war. Und selbst wenn 20 Prozent des Landes von den Armeniern okkupiert würden, dann müsse sie doch auch feststellen, dass 80 Prozent des Landes von der Mafia besetzt seien. Die anwesenden ausländischen Journalisten kamen ebenfalls bei den regierungstreuen Kollegen aus Aserbaidschan nicht gut weg, sie seien doch als Agenten und Spione im Land.
Freundliche Hupen in der "Stadt der Winde"
Die Menschen auf der Straße begegnen den Eurovisons-Besuchern aus Ländern in der alphabetischen Bandbreite von Albanien bis Zypern jedoch deutlich anders als die regierungstreuen Journalisten. Schon bei der Ankunft am Flughafen nahmen freundliche und hilfsbereite ehrenamtliche Freiwillige die Gäste in Empfang, die in den Eurovisions-Wochen lediglich eine vereinfachte Visums-Prozedur durchlaufen mussten. Jeder, der wollte, wurde zu seinem Koffer und einem verlässlichen Taxi-Fahrer begleitet, alles mit einem Lächeln auf den Lippen. Während die freiwilligen Helfer fließend Englisch sprechen, ist die Kommunikation auf der Straße schwieriger, wenn man nicht gerade Russisch beherrscht oder Türkisch, das sich wohl nur in Details vom Aserbaidschanischen unterscheidet.
Dennoch gibt es bei einem Gang durch die Hauptstadt mit ihren zwei oder vielleicht auch vier Millionen Einwohnern alle paar Meter jemanden vom Kind bis zum Rentner der freudestrahlend "Hello" oder "Welcome" sagt. Auch die ein oder andere verschleierte Frau sieht man in dem mehrheitlich muslimischen, aber eigentlich säkularen Land - wenige nur, aber es werden mehr. Manchmal hupt auch ein vorbeifahrender Autofahrer und freundlich winken diverse Hände aus dem Auto dem offenkundig Fremden. Wobei das Winken das Besondere ist, nicht etwa das akustische Signal. Hupen gehören in der quirligen "Stadt der Winde" - so nennt sich Baku abgeleitet aus dem Persischen - mit Sicherheit zu den Verschleißteilen der Autos. Zumeist proppenvoll sind die Straßen, obwohl schon die Metro-Züge und die Stadtbusse, zumeist genauso voll, unendliche Mengen an Menschen aufnehmen.
Die Menschen hätten faire Wahlen verdient
In den Bussen fällt dem europäischen Auge die Selbstverständlichkeit auf, mit der in Aserbaidschan auch im 21. Jahrhundert noch Frauen und Älteren ein Sitzplatz angeboten wird. Und das Vertrauen in die Ehrlichkeit der Fahrgäste: Bezahlt werden die 20 Qepik - etwa 20 Cent - beim Fahrer nach der Ankunft am Ziel. Wenn man in dem Gewusel nicht vorn aussteigen kann, dann drückt man irgendjemanden das Geld in die Hand, der es dann verlässlich bis zum Fahrer weiterleitet. Und auf einmal überlegt man, ob der Westen nicht auch von Aserbaidschan etwas lernen könnte.
Durch 14 Tage Eurovision in Baku hat sich an den miesen aserbaidschanischen Platzierungen in der Demokratie-Hitparade, in der Pressefreiheits-Rangliste und im Korruptions-Index nichts gerändert, obwohl das dringend notwendig ist. Aber wenn ich das nächste Mal zuhause in den Nachrichten das Wort "Aserbaidschan" höre, werde ich nicht an den Präsidenten denken, der fernab all unserer westlichen Maßstäbe regiert, sondern an freundliche Menschen, die es eigentlich verdient hätten, als gut informierte Bürger ohne die Alltags-Beschwernis "Korruption" sich in freien, fairen, demokratischen Wahlen ihre Führung selbstständig zu bestimmen.