Jens Gesper
Die Gruppe "Izabo" überlegt im Sound der 60er hübsch altmodisch auf Englisch und Hebräisch in "Time", was die Zeit mit Menschen und Liedern machen kann.
Wer singt beim Eurovision Song Contest?
Der Eurovision Song Contest ist eine Riesenshow, für viele Fans das Highlight des Jahres. Für die Fernsehzuschauer wird's erst am Samstag des Finales richtig spannend, denn dann dürfen sie in ganz Europa mit über den Sieger abstimmen. Bis dahin finden sich die Konkurrenten der gesetzten Teilnehmer in zwei Halbfinalen - und wer da alles mitsingt: Von verrückten Iren bis zur stolpernden Oma.

Ein Jahr nach dem Eurovision Song Contest in Düsseldorf ist das weltweit größte Musikspektakel jetzt in Baku gelandet. Luftlinie knapp 3.500 Kilometer weiter süd-östlich in Aserbaidschan. Einem Land, das bis 1991 zur Sowjetunion gehörte, in dem 95 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, in dem das mit dem Türkischen eng verwandte Aserbaidschanisch gesprochen wird, in dem die Uhren deutlich anders gehen als in Europa. Genau gesagt drei Stunden schneller. Wenn am Dienstag, 22. Mai, um 21 Uhr in Deutschland auf Einsfestival die Übertragung des ersten Halbfinals beginnt, dann ist es in Baku bereits Mitternacht und außerdem schon Mittwoch. Die Europameisterschaft im Schlager-Singen findet diesmal also am Kaspischen Meer in Vorderasien statt - und um noch eine schicke Luftlinien-Entfernung ins Spiel zu bringen - nicht mal 550 Kilometer von Teheran entfernt.

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Als einer der größten Geldgeber für die Veranstaltung ist Deutschland genauso wie Frankreich, Italien, Spanien und das Vereinigte Königreich direkt für das Finale am Samstag qualifiziert. Außerdem ist Aserbaidschan als Gastgeber ebenfalls automatisch im Finale. Zu diesen sechs Liedern kommen jeweils zehn weitere aus zwei Halbfinalen, das erste findet heute Abend statt. Und auch wenn die Deutschen heute noch nicht mit abstimmen dürfen - anders als beim zweiten Halbfinale am Donnerstagabend - sollte man sich die Chance nicht entgehen lassen, die potentiellen Konkurrenten unseres sympathischen Stillstands-Sänger Roman Lob kennenzulernen. Außerdem ist es womöglich die einzige Chance, Deutsch oder wenigstens so etwas Ähnliches im direkten Musik-Wettbewerb zu hören. Hier eine kurze Übersicht.

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Startnummer 1: Rambo Amadeus bringt mit einem trojanischen Esel "Euro Neuro" für Montenegro auf die Bühne, um mit aus der Pistole geschossenen, schlechten, englischen Reimen seine Kritik an der fehlenden menschlichen Wärme in der Gesellschaft zu äußern. Hier finden sich nach dem ersten Refrain in dem englischsprachigen Lied deutsche Wörter, deren Sinn ich noch nicht erschließen konnte.

Startnummer 2: Greta Salóme Stefánsdóttir und Jón Jósep Snæbjörnsson, die mindestens so schön wie ihre Namen sind, singen mit "Never Forget" für Island eine wunderbar mystische Eurovisions-Standard-Ballade. Leider auf Englisch, aber es gibt eine isländische Version. Der Roman zum Lied "Die Jungfrau auf Skálholt" wurde bereits im frühen 20. Jahrhundert Guðmundur Kamban geschrieben, Basis ist eine wahre dramatische Geschichte aus dem 17. Jahrhundert.

Startnummer 3: Eleftheria Eleftheriou singt auf Englisch Aphrodiasac. Die notwendigen Sparmaßnahmen führen dazu, dass Griechenland in Melodie und Choreographie eine Geheime Nummer-Eins-Konbination aus den griechischen Beiträgen von 2005 und 2008 schickt.

Startnummer 4: Anmary heißt eigentlich Linda und nutzt für ihren Auftritt aber ihren Taufnamen, in der ersten Version attestierte ihr schöner "Beautiful Song" aus Lettland Johnny Logan, dass er alt, aber irgendwie auch noch berühmt sei. Dieser gesungene Fauxpas wurde inzwischen ausgebügelt.

Startnummer 5: Rona Nishliu stammt aus dem Kosovo und singt für Albanien "Suus" Wer sich mit der Sprache auskennt und sich wundert: Das ist Lateinisch. Aus künstlerischen Erwägungen wurde der Liedname "Eigen" in die tote Sprache übersetzt. So wie diese Geschichte ist der komplette Auftritt der extrem eigenen und toll frisierten Künstlerin.

Chance auf den 1. Platz? Der rumänische Song " Zaleilah". Foto: Jens Gesper

Startnummer 6: Die rumänisch-kubanische Gute-Laune-Gruppe "Mandinga" singt hübsch inszeniert für Rumänien auf Englisch und Spanisch "Zaleilah". Ein hundertprozentig zuverlässiger englischer Freund hat mir versichert, er höre dieses Lied seit Wochen mit den gleichen Gefühlen wie im vergangenen Jahr das Gewinnerlied. Bukarest 2013?

Startnummer 7: Die Tessiner Brüder Gabriel und Ivan Broggini singen für die Schweiz "Unbreakable". Nachdem ihnen jemand den Unterschied zwischen kurzen und langen Vokalen im Englischen erklärt hat, ist die Nummer noch immer mitreißend. In der Pressekonferenz konkretisierten sie, zur Beruhigung der evangelisch.de-Leser, dass ihr Bandname "Sinplus" nicht etwa für zusätzliche Sünden stünde, sondern für etwas Besseres als Sünde stehe.

Startnummer 8: Laura van den Bruel nennt sich für ihren unspektakulären belgischen Eurovisions-Beitrag 2012 "Would You" Iris. Wollen wir hoffen, dass das nicht ins Auge geht.

Startnummer 9: Das erste schwedischsprachige Eurovisionslied seit 1998 – und wer singt es? Die Finnen. Allein dafür zwölf Punkte für Pernilla Karlsson, die das Lied "När jag blundar" von ihrem Bruder auf den Leib komponiert und getextet bekam.

Startnummer 10: Die Gruppe "Izabo" überlegt im Sound der 60er hübsch altmodisch auf Englisch und Hebräisch in "Time", was die Zeit mit Menschen und Liedern machen kann.

Startnummer 11: Nachdem das böse "F-Wort" nicht benutzt werden darf, heißt das Facebook-Lied aus San Marino jetzt "The Social Network Song (oh oh uh oh oh)". Und die Sängerin Valentina Monetta. Wer jetzt annimmt, so was kann sich nur Ralph Siegel ausdenken, der hat Recht.

Startnummer 12: Ivi Adamou beschreibt für den Rest der Welt auf Englisch die "La La Love" aus Zypern. Hübsch und eingängig und nichts für die Ewigkeit.

Startnummer 13: Soluna Samay ist die in Guatemala geborene Tochter eines Stuttgarters und einer Luzernerin, die mit einer Irakerin, einem Kurden und einer Südafrikanerin mit zwei Dänen für Dänemark das schöne und unauffällige "Should've Known Better" singt. Zwischendurch wird mehrfach relativ unmotiviert im Refrain "Inch’Allah" gesungen. Das ist Arabisch und heißt: So Gott will. Weshalb, konnte die Sängerin in der Pressekonferenz nicht so genau erklären.

Die russischen Omas aus Buranovo singen auf  "Udmurtisch". Foto: Jens Gesper

Startnummer 14: Wenn Sie mir einen Gefallen tun wollen: Rufen Sie bitte nicht für die russischen Omas aus Buranovo an. Auch wenn sie der Eurovision die bisher völlig unbekannte Sprache "Udmurtisch" näher bringen, ist "Party for Everybody" für mich nicht wirklich ein Lied. Außerdem musste die kleine Oma sogar in den Probenpausen, wenn sich die Anderen ausruhen duften, permanent ihre Strecke auf der Bühne ablaufen, damit sie die nicht vergaß. Ich bin mir nicht sicher, ob für diesen Auftritt wirklich keine Oma verletzt wurde.

Startnummer 15: "Differences may not be wrong, they enrich the things that we know." Unterschiede sind vielleicht nicht verkehrt, sie bereichern die Dinge, die wir kennen. Das singt die Gruppe "Compact Disco auf Englisch in ihrem Lied "The Sound of Our Hearts" für Ungarn. Wenn man sich überlegt, dass ihr Land gerade an vielen Stellen vom Regierungschef gleichgeschaltet wird, sind das zwei interessante Sätze.

Startnummer 16: In "Woki mit deim Popo" fordern Lukas Plöchl und Manuel Hoffelner als Hip-Hop-Duo "Trackshittaz" für Österreich dazu auf, mit dem Hintern zu wackeln. Die Nummer, die nur haarscharf über der Gürtellinie bleibt, wird im Dialekt des oberösterreichischen Mühlviertels gerappt. Während man überlegt, wann der deutsche Vertreter beim Grand Prix zum letzten Mal auf deutsch gesungen hat, könnte man für die Österreicher anrufen.

Der Beitrag aus Moldawien mit der Startnummer 17. Foto: Jens Gesper

Startnummer 17: Seit 2005 kommt wenigstens einmal im Jahr Moldawien im europäischen Fernseh-Bewusstsein vor, nämlich beim Eurovision Song Contest. Sie haben eigentlich das Copyright auf lustige Omas im Wettbewerb, sie waren damals die Ersten, die die Großmutter auf die Pauke hauen ließen. Diesmal singt Pasha Parfeny auf Englisch "L?utar", das bezeichnet eine Gruppe von Roma, die das Zupfinstrument "Laute" spielen.

Startnummer 18: Bei ihrem diesjährigen Eurovisions-Beitrag entwickeln die irischen Zwillinge John und Edward Grimes – oder kurz: Jedward – ein "Waterline"-Syndrom auf der Bühne. Im und um einen Brunnen herum riskieren die minderbegabten Sänger ihre frisch dauergewellten Frisuren. Das Lied ist besser als das im Vorjahr, aber ihr Witz ist so beschränkt, dass er möglicherweise nicht über ein Jahr hinaus trägt.