Wuppertaler Bühnen
"Ali Baba" ist im Juni noch an drei Spielterminen in Wuppertal zu sehen.
Ali Baba und die Oper in der Türkei
Eine Inszenierung aus Wuppertal zeigt, wie die türkische Opernkultur auch hier gut ankommt
In Wuppertal erlebte mit Selman Adas Musikmärchen "Ali Baba und die 40 Räuber" erstmals eine türkische Oper eine szenische Realisierung auf einer deutschen Bühne. Der interkulturelle Grenzgänger zeigt, was wenige wissen: Auch in der Türkei hat die scheinbar urwestliche Kunstform der Oper Vergangenheit und Gegenwart.

Die Geschichte vom Holzsammler Ali Baba, seiner Frau Ayse, seinem neu- und raffgierigen Bruder Kasim, den vierzig Räubern und deren selbstbewusst-rebellischen Frauen ist ein, wenn nicht der Klassiker des orientalischen Märchens. Die meisten Kinder in der arabischen Welt wissen um die Gefahr, wenn man wie Kasim zwar in der Räuberhöhle einen prachtvollen Schatz entdeckt, jedoch sich nicht mehr des Zauberworts erinnert, um wieder heraus zu kommen. Wie es dank der einfallsreichen Sklavin Nurcihan gelingt, Schreckliches für die ganze Familie zu verhüten, erzählt die Geschichte aus der 270. der legendären 1001 Nächte. Auch bei den Wuppertaler Bühnen geht das Märchen nach mancherlei derben Streichen und blutigen Fehden glücklich aus. Wie immer also bei "Ali Baba"? Mitnichten! Denn bei der deutschen Uraufführung der 1990 entstandenen Märchenoper des türkischen Komponisten Selman Ada und seines Librettisten Tarik Günersel ist zwar die Geschichte gleich, doch vieles anders als bei der Inszenierung in Wuppertal.

In der Türkei hat Adas "Ali Baba" die Funktion, die Humperdinck mit seiner Märchenoper "Hänsel und Gretel" hierzulande spielt, wenn angesagt ist, junge Menschen mit dem traditionellen Genre der Oper vertraut zu machen. Das Kalkül scheint auch in Deutschland aufzugehen, wie ein Blick durch die Reihen des Opernhauses im Stadtteil Barmen bezeugt. Dass es erstmals eine türkische Oper als szenische Realisierung auf deutsche Bühnenbretter schaffte, ist indes selbst ein Märchen. Wuppertals Intendant Johannes Weigand, um kulturelle Impulse auch für Migranten bemüht, war eher zufällig bei Internet-Recherchen auf den Stoff gestoßen, wenig später bei Komponist Ada dann auf lebhafte Resonanz.

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Zufall Nummer zwei: Mit Ulrike Olbrich ließ sich eine "Hauslösung" für die Erarbeitung einer deutschen Fassung realisieren, weil die Dramaturgin Türkisch spricht. Im Tandem mit Markus Pysall (Bühne und Kostüme) brachte Weigand, jetzt auch Regisseur, eine optisch und musikalisch beeindruckenden Spieloper auf die Bühne, die vor allem eines ist: vitales Musiktheater. Es gibt mit Kaftanen, Pluderhosen und Schnabelschuhen im Vordergrund sowie Halbmond, Zwiebeltürmen und Minaretten im Hintergrund orientalische Symbolik in Hülle und Fülle. Die Protagonisten bewegen sich je nach Rolle leicht oder tollpatschig durch eine märchenhafte Theaterwelt voller Anspielungen vom Volks- bis zum (echten) Puppentheater.

"Mehr als Folklore, Kebab und Döner"

"Toll, wirklich toll" findet Firat Sunel, der türkische Generalkonsul in Düsseldorf, die Wuppertaler Kulturtat. Gegenüber evangelisch.de betonte Sunel, mit der Aufführung werde erfreulicherweise deutlich,  dass "die Türkei mehr ist als Folklore, Kebab und Döner". Gleichsam spielerisch wird mit Adas Spieloper vielen Zuschauern erstmals bewusst, dass die scheinbar urwestliche Kultur der Oper auch in der Türkei existiert. Tatsächlich ist sie älter, selbstverständlicher und wiederum jünger, als die meisten hierzulande wissen dürften.

"Alla turca" - das Rondo in Mozarts Klaviersonate in A-Dur sowie die Anklänge an die Janitscharenkapellen in seiner "Entführung aus dem Serail" sind wohl die markantesten Beispiele für die Affinität von Klassikkomponisten des Abendlands von Haydn bis Beethoven zur türkischen Musik. Kaum bekannt: Diese Euphorie fand auch in der Türkei ihre Entsprechung. 1840 wurde in Istanbul die erste westliche Oper in türkischer Sprache aufgeführt, "Belisario" von Donizetti. Produktionen von Verdi-Opern, gespielt ein, zwei Jahre nach der Uraufführung von italienischen Operncompanies, waren in der Folgezeit dort sehr populär.

Der Erneuerer Kemal Atatürk förderte eine neue staatliche Musikpolitik und damit die Integration der westlichen Oper in die Kultur der Türkei. Aus der eigenen Volksmusik sollte im Mix mit Stilen des Westens eine neue Art von Musik entstehen. "Özsoy", die erste Oper im Sinne der Musikpolitik der Republik, wurde von Ahmet Adnan komponiert und 1934 uraufgeführt. Adas "Ali Baba"-Musik ist auf dem Hintergrund dieser west-östlichen Kulturverschmelzung eine Entdeckung. Sie ist gut hörbares Material, bietet eingängige Melodien und Rhythmen mit Elan, schmissige Chöre und innige Arien. Sie ist große, ambitionierte Oper, wenn Banu Böke (Nurcihan) und Miljan Milovic (Abdullah) von Liebe, Kummer und Sehnsucht auf Türkisch singen.

Vorurteile über die Kunst korrigieren

In der heutigen Türkei gibt es rund ein halbes Dutzend Opernhäuser, so in Ankara, Istanbul und Izmir. Für sie werden auch neue Werke geschrieben. Umgekehrt machen sie sich mit Operninszenierungen bekannt, die wie der Berliner "Idomeneo" (Mozart) des Regisseurs Hans Neuenfels selbst bei uns kontrovers diskutiert werden. Die Oper Izmir ging 2007 das Wagnis ein - auch auf die Gefahr hin, einflussreiche muslimische Fundamentalisten zu reizen. "Das Interesse an der Oper in der Türkei wächst", sagt Sunel. Auch das an der türkischen Oper bei uns?

Vermutlich ist es unwirklich zu glauben, dass schon mit einem einmaligen Unterfangen wie in Wuppertal ein bedeutsamer Beitrag zu einer neuen Migrationskultur geleistet werden kann. Diese entstünde aus dem Zusammenschmelzen von Elementen beiderseits des Bosporus. Zumindest müssten solche Ansätze in ein größeres Konzept eingebunden sein. Erfreulicherweise mühen sich immer mehr Stadttheater wie in Wuppertal, auf der Bühne, in Konzert- und anderen Musiksälen, in Schulen und Bildungseinrichtungen durch neue Angebote auf andere Kulturen neugierig zu machen. So mehren sich die Chancen, Stereotype und Vorurteile zu korrigieren.

Zurzeit muss sich die angeblich der bürgerlichen Hochkultur verschriebene Oper einmal mehr ihre öffentlichen Subventionen vorhalten lassen. Mit Blick auf "Ali Baba" möchte man dagegen halten, denn so leistet das Theater doch dann und wann etwas letztlich Unbezahlbares. Vielleicht müssen da erst 40 Räuber kommen, die uns diese Lektion einbläuen.