Eine Insel vor der amerikanischen Ostküste Mitte der 60er Jahre: Zwei Zwölfjährige nehmen Reißaus, um sich ihr eigenes, geheimes Reich zu erschaffen. Mit ihrer Flucht sorgen sie für ein mächtiges Chaos und halten Familien, Staatsdiener und Pfadfinder gleichermaßen auf Trab. Wes Andersons neuer Film "Moonrise Kingdom" ist eine randvolle Wundertüte voll mit Fantasie, Krimskrams und skurrilen Figuren.
Seine Vorliebe für große Schauspieler in schrägen Rollen, unüberschaubare Ensembles, liebevolle Retro-Dekors, absurde Poesie und skurrile Situationskomik bewies der amerikanische Independent-Regisseur Anderson schon ganz früh mit "Rushmore" und "Die Royal Tenenbaums". Über seinen Szenarien schwebte dabei ein heiliger Ernst, ein Gefühl von trotziger Revolte und störrischem Eigensinn: einzigartiger und unverwechselbarer geht es kaum. Nach filmischen Ausflügen nach Indien ("Darjeeling Limited") und ins Animationsfach ("Der fantastische Mr. Fox") kehrt Anderson nun mit seiner siebten Kinoregie wieder zu seinen Anfängen zurück.
"Moonrise Kingdom" lohnt sich allein wegen der Besetzung: Edward Norton als spießiger, aber integrer Oberpfadfinder, Bruce Willis als schlichter, gleichwohl großherziger Insel-Sheriff, Bill Murray als gehörnter Ehemann und Frances McDormand als seine untreue Frau. Später kommen noch Tilda Swinton als diktatorische Abgesandte des Jugendamts und Harvey Keitel als schnauzbärtiger Pfadfinder-Kommandeur dazu. Sie alle sorgen für verschrobene Komik und liebenswerte Absonderlichkeit.
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Dabei sind sie nur die Randfiguren einer Geschichte, die sich um die Liebe zweier zwölfjähriger Außenseiter dreht. Im Zentrum des Films nämlich stehen der leicht nerdige Sam Shakusky (Jared Gilman) und die zu Gewaltausbrüchen neigende Suzy Bishop (Kara Hayward), die eines Tages weglaufen und sich in einer abgelegenen Bucht ein kindlich-unschuldiges Liebesnest bauen, einen Ort zum Träumen, Geschichten Vorlesen und Anderssein.
Mehr noch als sonst betont Anderson in seinem neuen Film das Künstliche und Spielerische seines Entwurfs: Gleich zu Beginn wird das Haus der Familie Bishop wie eine Puppenstube vorgeführt, dann beschreibt ein Erzähler (Bob Balaban), kostümiert wie ein alberner Gartenzwerg, mit stoischen Worten den Handlungsort, die kleine Insel. Ein Sturm, berichtet er weiter, werde drei Tage später – am Ende der Geschichte – alles kräftig durchschütteln. Schon da wirbelt Anderson die Zeitebenen und Perspektiven durcheinander. Hinter dem Chaos, das er stiftet, bleibt seine ordnende Hand aber immer sichtbar.
Schönheit fast vergessener Rituale
In "Moonrise Kingdom" geht es nicht nur um die Flucht zweier Außenseiter, es geht auch um die Schönheit fast vergessener Rituale wie Briefeschreiben und France-Gall-Singles hören, um unverstandene Kinder und entfremdete Eltern, um die Grausamkeit der Jugend, die sich im Geschwisterzwist ebenso äußert wie im Krieg der Pfadfinder, um das Leben in einer abgeschiedenen Welt, in der jeder seine Geheimnisse hat und trotzdem keiner etwas verheimlichen kann, um die Vogel-Hierarchie in Schulaufführungen, um das höchste Baumhaus der Welt, um Blitze, die im richtigen Moment einschlagen, und um die lächerlichste Flucht aus einem Zelt - um nur ein paar Dinge zu nennen.
Der Reiz dieser liebevoll-absurden Mischung liegt in der überbordenden Fantasie, in der Feierlichkeit, mit der Seriöses und Lächerliches gleichermaßen präsentiert werden. Ein Spielverderber, wer da fragt, worin der tiefere Sinn dieses Films besteht.
USA 2012. R: Wes Anderson. B: Roman Coppola, Wes Anderson. Mit: Bruce Willis, Edward Norton, Bill Murray, Tilda Swinton, Harvey Keitel, Frances McDormand, Jason Schwartzman. L: 94 Min. FSK: 12, ff.