Pompöse Musik. Ein Pokal ist zu sehen, im Hintergrund die Tribüne eines Stadions, vorn ein Schriftzug "19. Mai". Cut, schwarzer Bildschirm. Dann beginnt das Gebet: "Lieber Fußballgott" wird eingeblendet. Zu sehen sind Bayern-Spieler in ihren roten Trikots, die über den Platz rennen, Tore schießen, jubeln. Eine sonore Stimme spricht: "Dein Ball komme, dein Spiel geschehe, unsere Tore gib uns heute, und vergib uns unsere Fouls, wie auch wir vergeben den Schiedsrichtern. Führe uns nicht ins Abseits, sondern bewahre uns vor Kontern. Denn dein ist das Spiel und der Sieg und die Champions-League in Ewigkeit." So lautet im Werbetrailer von Sat1 der abgewandelte Text des "Vater Unser" nach dem Matthäusevangelium, Kapitel 6, Verse 9-13. In dem TV-Spot klingt er wie in einer Kathedrale - aus dem Hintergrund ist das Echo betender "Mönche" zu hören, die den Text nachsprechen. Am Schluss wieder ein Schnitt, dann: "Auf geht's" statt "Amen".
"Sat.1 greift zu den höchsten Tönen, die überhaupt möglich sind: Vater Unser und Orgelklänge": So kommentiert Prälat Bernhard Felmberg, der Sportbeauftragte des Rates der EKD in Berlin, den Trailer. "Damit ist sozusagen die himmlische Sphäre erreicht. Damit wird dieses Duell mit einem Höchstmaß an Religiosität aufgeladen." Fußball habe zwar religiöse Züge: Das Gemeinschaftsgefühl im Stadion, das kollektive Hoffen und Bangen. Spieler werden angehimmelt, quasi-religiöse Jubelgesänge angestimmt. "Dass der Fußball liturgische Elemente kennt, ist wissenschaftlich belegt", sagt Felmberg. "Luther hat ja gesagt: 'Woran du dein Herz hängst, da ist dein Gott.' Aber beim zweiten Nachdenken merkt man, dass Fußball keine Religion ist. Sie erlöst uns nicht."
Schneider: "Ein Tanz ums goldene Kalb"
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat scharfe Kritik an dem Sat.1-Trailer geäußert. "Wir erleben den Tanz ums goldene Kalb: Alles ist Gegenstand der Kommerzialisierung und wird zur Ware gemacht, sogar das Vater Unser." Das Gebet der Christenheit diene in dem Werbespot dazu, eine Produktwerbung religiös zu überhöhen, kritisierte der rheinische Präses. "Soweit darf man um der Einschaltquoten und um der Produktwerbung willen aber nicht gehen." Der Spot verletze die Gefühle von Christen und missachte den gebotenen Respekt vor der Heiligkeit Gottes. "In den zehn Geboten heißt es: 'Du sollst den Namen deines Gottes nicht missbrauchen'", sagte Schneider.
Auch Prälat Felmberg findet den Trailer geschmacklos, "ärgerlich und überflüssig". Nicht unbedingt, weil er religiöse Gefühle einzelner Menschen verletzten könnte, sondern weil der Text des Vater Unsers missbraucht wird, "der bekannteste Text und das höchste Gebet der Christenheit". Vielen Menschen gebe dieses Gebet in existentiellen Situationen Halt, so Felmberg. "Es ist einfach eine Distanzlosigkeit, wenn man seine eigene Marke, nämlich den Hinweis auf dieses große Finale, nur dadurch aufpeppt, dass man es religiös überlädt. Man greift auf einen Ton zurück, den jeder vom Christentum her kennt und bestückt ihn mit anderen Inhalten. Man verfremdet den Sinn des Vater Unsers."
Auch Oberkirchenrat Markus Bräuer ist der Ansicht, dass man so nicht mit biblischen Texten umgehen kann. Er ist der Medienbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat den Trailer gesehen und findet: "Es ist eine Grenzüberschreitung, vom 'Fußballgott' zu reden oder das älteste Gebet der Christenheit so zu verwenden." Auch die Aufmachung des Trailers überschreitet für ihn eine Grenze, indem eine Kathedralen-Atmosphäre hergestellt und indem "nicht nur in der Wortwahl, sondern auch in der Emotion Anleihe bei Kirche und Glaube" genommen wird.
Bräuer: "Hier werden die Regeln verlassen"
Dabei geht es nicht darum, dass Sport und Glaube von einander getrennt sein müssten, meint Bräuer. Natürlich könnten Fußballspieler und Fans beten - auch für ein Spiel. "Ich kenne viele Fußballspieler, die auf Gott vertrauen und um ihren Sieg bitten und Gott in allen Phasen und Lebenslagen um Hilfe bitten. Das ist Ausdruck eines ganzheitlichen Glaubens." Doch der Sat.1-Trailer gehe zu weit, erklärt Markus Bräuer: "Im Sport sind bestimmte Regeln einzuhalten. Das Gebot der Fairness ist ein Gradmesser für ein gutes Spiel. Dieser Gradmesser gilt auch in diesem Fall: Kirche und Sport haben vieles gemeinsam, aber hier werden die Regeln verlassen und die Gefühle von Christenmenschen verletzt, denen dieses Gebet etwas Heiliges ist." Die Achtung vor dem anderen müsse gewahrt bleiben. "Das erwarte ich auch vom Sport und der Werbung gegenüber der Religion", sagt der EKD-Medienbeauftragte.
Im Namen der evangelische Kirche hat sich Markus Bräuer direkt an den Sender Sat.1 gewandt und den Trailer kritisiert. "Wir sind da in Kontakt und tauschen unsere unterschiedlichen Auffassungen aus", erklärt Bernhard Felmberg. Auch der Vorsitzende der Evangelischen Allianz, Michael Diener, forderte am Mittwoch den Sender auf, den Spot abzusetzen: Es verletze "die religiösen Gefühle vieler Christinnen und Christen, wenn ein derartiger Text einem 'Fußballgott' umgewidmet wird", kritisierte Diener die Umdichtung des Vater Unser. Konsequenzen hatte das alles aber bisher nicht - der Spot läuft weiter.
Niemand spricht vom "Schwimmgott"
Fußball und Religion werden ohnehin gern vermischt, berichtet Felmberg aus seiner Erfahrung als EKD-Sportbeauftragter. Immer wenn wieder vom "Fußballgott" die Rede ist, nutze er die Gelegenheit sehr gern, um mit Spielern zu reden: "Ich mache immer darauf aufmerksam, dass es keinen 'Fußballgott' gibt, das weiß eigentlich auch jeder. Mit einem Lächeln füge ich dann immer hinzu, wie komisch es doch wäre, wenn in anderen Sportarten auf einmal von einem Tischtennis-, Volleyball-, oder Schwimmgott die Rede wäre. Das macht dann deutlich, wie banal diese Rede ist. Für die meisten Fußballer ist sowieso klar, dass sie sich vom Dreieinigen Gott in ihrem Leben begleitet wissen, der wirklich etwas im Leben bewirkt." Sein Fazit: "Gelbe Karte für Sat.1."
Der bayrische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hingegen würde nicht gleich zur gelben Karte greifen. Zwar findet auch er den Trailer "voll daneben", fühlt sich aber dadurch nicht in seinem Glauben angegriffen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst: "Dazu bin ich mir meines Glaubens viel zu sicher."