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7. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Die Toten von Marnow 2"
Der vierteilige Thriller "Die Toten von Marnow" (2021) über einen mörderischen Sommer in Mecklenburg war eine der besten Krimiserien der letzten Jahre; Petra Schmidt-Schaller und Sascha Alexander Geršak wurden beim Deutschen Fernsehpreis mit den Ehrungen für die beste schauspielerische Leistung des Jahres gewürdigt.

Nun liefern Holger Karsten Schmidt (Buch) und Andreas Herzog (Regie) mit "Finsteres Herz" eine Fortsetzung, und die beginnt gleich mit einem Knaller: Lona Mendt und Frank Elling von der Kripo Schwerin kümmern sich als Personenschutz um ein kleines Mädchen. Das Waisenkind ist die wichtigste Zeugin in einem Prozess gegen eine kriminelle Organisation. Die vermeintlichen BKA-Kollegen, die Sarah zum Gericht bringen sollen, entpuppen sich jedoch als gedungene Gangster. Es kommt zu einer Schießerei, in deren Verlauf nicht nur das Killerkommando, sondern auch der Personenschutz auf der Strecke bleibt; Mendt und Elling werden lebensgefährlich verletzt und befinden sich fortan im künstlichen Koma. Die zwölfjährige Sarah konnte sich verstecken und muss sich nun irgendwie allein durchschlagen. 

Dass das Kripoduo bereits zum Auftakt von der Liste der handelnden Personen verschwindet, ist natürlich ein Schock. Dank einer ebenso simplen wie brillanten Drehbuchidee dürfen Geršak und Schmidt-Schaller dennoch weiterhin mitwirken: Elling, Mendt und ihr getöteter Chef (Horst Günter Marx) haben alle analogen und digitalen Ergebnisse ihrer Nachforschungen vernichtet. Staatsanwalt Ritter (Oliver Urbanski) bleibt nichts anderes übrig, als ganz von vorn anzufangen: Bundespolizistin Maja Kaminski (Sabrina Amali) und Hagen Dudek (Bernhard Conrad) vom LKA sollen jeden einzelnen Ermittlungsschritt  nachvollziehen. Was nun folgt, hat einen Preis für den besten Schnitt (Gerald Slovak) verdient: Mit Hilfe einer raffinierten Rückblendenkonstruktion schildern Schmidt und Herzog, was Mendt und Elling 14 Tage zuvor in Erfahrung gebracht haben. Weil Kaminski und Dudek es ihnen bis hin zu identischen Befragungen gleichtun, springt die Handlung fortan zwischen den beiden dank verschiedener Licht- und Farbgebung optisch unterschiedlich gestalteten Zeitebenen hin und her.

Darstellerisch ist "Finsteres Herz" ohnehin erneut herausragend; Greta Kasalo (Jahrgang 2012), zuletzt bereits als Enkelin im dritten "Stubbe"-Special ("Ausgeliefert", 2022) eine Wucht, hat unbedingt einen Nachwuchspreis verdient. Aber selbst wenn das Ensemble, die Bildgestaltung (Claire Jahn) und Herzogs dank des CinemaScope-Formats sehr aufwändig wirkende Umsetzung nicht ebenfalls von überdurchschnittlicher Qualität wären: Schon allein die Konzeption ist reizvoll. Die Serie ist ohnehin auf höchstem Niveau durchgehend fesselnd, zumal Schmidt die Arbeit des Ergänzungsduos mutwillig erschwert: Weil offenbar ein Maulwurf in den Behörden die Organisation auf dem Laufenden hält, soll Kaminski ihren Partner im Auge behalten. Dessen Vorgesetzter (Dirk Ossig) misstraut wiederum dem Staatsanwalt: Nur vier Menschen kannten Sarahs Versteck. Einer ist tot, zwei liegen im Koma, der vierte ist Ritter; und so belauern sich die Fahnderin vom BKA und der Kollege vom LKA, die eigentlich ein prima Team wären, gegenseitig. 

Die Fallebene ist nicht minder faszinierend: Nach einem Leichenfund im Wald stoßen Mendt und Elling auf einen Clan, der mit allem handelt, was sich zu Geld machen lässt: Drogen, Waffen, Menschen. Die Geschichte wird immer abgründiger, aber Sarah könnte den abscheulichen Verbrechen mit ihrer Aussage ein Ende setzen. Mit dem Mädchen hat Schmidt eine für einen Krimi dieser Art äußerst ungewöhnliche Figur geschaffen: Das Kind ist keineswegs Opfer, sondern lenkt die Ereignisse dank seiner Cleverness mehrfach in eine ganz andere Richtung. Trotzdem nimmt die Handlung einige tragische Wendungen. Zwischendurch schüttelt Schmidt auch mal ein Ass aus dem Ärmel; mindestens einer der Haken, die die Serie regelmäßig schlägt, ist ein echter Clou. 

Der Rest ist bestes Handwerk. Das gilt nicht nur für die mit großem Geschick gestalteten Übergänge zwischen den Zeitebenen, sondern auch für die besondere Musik: Martin Tingvall hat seinem Klavier Klänge entlockt, die großen Anteil an der speziellen Atmosphäre der sechs im Gegensatz zur ersten Staffel sehr winterlichen Episoden haben. Die akustische Melancholie kontrapunktiert Schmidt mit heiteren Momenten, die der düsteren Geschichte einen unerwarteten Witz abtrotzen, etwa in den Szenen mit Elling und seiner unter beginnender Demenz leidenden Mutter (Christine Schorn). Nicht minder schön gespielt ist die Innigkeit zwischen Vater und Tochter (Bianca Nawrath). Lona Mendt hingegen ist nach dem tragischen Verlust ihrer Familie untröstlich. Dank Sarah bekommt ihr Leben einen neuen Sinn: als hätten sich die beiden gesucht und gefunden. 

Das "Erste" zeigt heute die Episoden eins bis vier, der Rest folgt am Mittwoch.