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5. Dezember, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Borchert und die Stadt in Angst"
Raffiniert konzipierte Krimis sind wie ein anspruchsvolles Puzzle, für das es keine Vorlage gibt: Am Anfang wirken die vielen verschiedenen Informationen komplett chaotisch. Nach und nach fügen sich jedoch, auch in diesem Krimi, immer mehr Teile zusammen.

Schließlich erreicht die Geschichte jenen Punkt, an dem alles einen Sinn ergibt, der Fall scheint gelöst; wäre da nicht dieses letzte Stück, das einfach nicht ins Bild passt. Diesem Muster folgt auch Wolf Jakobys Drehbuch zum zwanzigsten "Zürich-Krimi". Roland Suso Richter hat mehr als die Hälfte der bisherigen Episoden gedreht, seine Beiträge gehören mit Abstand zu den besten, einige waren nicht zuletzt wegen der stets formidablen Bildgestaltung herausragend.

Die Drehbücher stammten dabei meist von Jakoby, der sich auch diesmal eine ungewöhnliche Story ausgedacht hat. Anlässlich des Jubiläums hat die ARD der Reihe einen Zweiteiler spendiert, aber das war keine gute Idee: Zwischenzeitlich verliert "Borchert und die Stadt in Angst" ganz erheblich an Spannung.

Dabei erfüllt die Handlung alle Voraussetzungen für einen packenden Thriller: Nacheinander werden in Zürich auf offener Straße mehrere Menschen ermordet. Wie eine Signatur ist an jedem Tatort eine stilisierte Sonne hinterlassen worden. Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) von der Kantonspolizei steht vor einem Rätsel, denn es gibt ansonsten keinerlei Verbindungen zwischen den Taten: Die Opfer – eine Kantonsrätin, ein Student, ein Koch, eine Polizistin, ein Chefarzt – hatten nichts miteinander zu tun. Selbst eine Spezialistin (Oona Devi Liebich) mit FBI-Ausbildung und entsprechender Software kann kein Muster erkennen: "wie eine mathematische  Formel, die nur aus Variablen besteht." Sollte tatsächlich jemand wahllos und willkürlich Leute umbringen, wäre das für Furrer und sein Soko-Team ein Ermittlungsalbtraum. In seiner Not bittet er Thomas Borchert (Christian Kohlund) um Hilfe. Der Anwalt besitzt im Unterschied zur künstlichen Intelligenz die Fähigkeit, um die Ecke zu denken. Als es ihm gelingt, in einigen fast ein Jahr zurückliegenden Ereignissen einen tragischen Zusammenhang zu erkennen, geraten er und Kanzleipartnerin Dominique (Ina Paule Klink) selbst in Lebensgefahr.

Verdichtet auf 120 Minuten wäre "Stadt in Angst" ein Film von enormer Intensität geworden.  Mindestens ein Nebenstrang hätte sich problemlos streichen lassen: Furrer gerät ständig mit seinem Stellvertreter Lueger (Sebastian Krähenbühl) aneinander. Der Mann hält sich für einen Superbullen und präsentiert tatsächlich irgendwann triumphierend den vermeintlichen Täter (Robin Sondermann).

Die beiden Polizisten wetteifern zudem um die neu zu besetzende Kommandantenstelle. Der unsympathische Lueger ist allerdings viel zu überzeichnet und macht sich zu allem Überfluss auf eine Weise an die KI-Kollegin ran, die an sexuelle Belästigung grenzt. Die IT-Expertin hat wiederum ein Auge auf Furrer geworfen, was prompt Dominiques Argwohn weckt. Den Film bringen diese Geplänkel keinen Schritt weiter. Andere Szenen sind schlicht zu lang, als habe Richter die Handlung beim Schnitt strecken müssen, um die knapp 180 Minuten zu füllen. Selbst die Kameraarbeit (Andrés Marder, ebenfalls schon bei mehreren von Richters "Zürich-Krimis" dabei), ist nicht so bemerkenswert wie sonst. Die Bilder sehen zwar gewohnt hochwertig aus, aber anders als ein schwungvoller Drohnenflug mit verblüffender 180-Grad-Drehung während des Prologs wirken einige ungewöhnliche Blickwinkel und Spiegelungen wie unnötige Spielerei. 

Ähnlich wie ein Pokalspiel, bei dem es lange 0:0 steht, bleibt "Stadt in Angst" dennoch fesselnd, zumal Jakoby mit dem Prolog einen Erzählstrang einführt, der scheinbar im Nichts endet: Elf Monate vor der Mordserie verunglückt ein Auto auf einer Landstraße; die fünfköpfige Familie war auf dem Weg zum Schnebelhorn, dem höchsten Gipfel des Kantons Zürich, um von dort eine Sonnenfinsternis zu beobachten. Borchert findet raus, dass die damalige letzte Oktoberwoche für alle Mordopfer von besonderer Bedeutung war. Gleichfalls interessant und ähnlich rätselhaft ist eine durchgehende Ebene mit Rückblenden ins Jahr 1975 und zwei Waisenkindern, die im Heim aufwachsen.

In der Gegenwart wird der Junge sehr berührend von David Bennent verkörpert; dass seine Schwester Anne die Filmschwester spielt, gibt den Szenen noch mehr Bedeutung. Wie diese beiden Stränge zusammengehören, was sie mit den Morden zu tun haben und welche Verkettung unglücklicher Ereignisse schließlich zu den Attentaten geführt hat, wird selbst ein passioniertes Krimipublikum überraschen. Teil zwei folgt kommenden Donnerstag und steht ab Montag in der ARD-Mediathek.