Kriegsgräber dem Alten Friedhof in Offenbach
© epd-bild / Hanno Gutmann
Die Regeln des humanitären Völkerrechts zum Umgang mit Kriegstoten würden leider kaum eingehalten, sagt die Sozialethikerin Michelle Becka.
Anonymen Kriegstoten gedenken
Ethikerin: Bestattung ist Menschenrecht
Das Menschenrecht auf eine würdige Bestattung wird laut der Sozialethikerin Michelle Becka in vielen Konflikten weltweit missachtet. Anlässlich des Volkstrauertags appeliert die Arbeitsgruppe der Deutschen Kommission Justitia et Pax, deren Moderatorin Becka ist, an die Bundesregierung, sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass gerade besonders vulnerable Menschen über ihren Tod hinaus in ihrer Menschenwürde geschützt werden.

Die Regeln des humanitären Völkerrechts zum Umgang mit anonymen Toten würden leider kaum eingehalten und seien zudem nicht ausreichend, sagt die Würzburger Professorin für christliche Sozialethik dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wie Menschen behandelt würden, die etwa auf der Flucht und im Krieg sterben oder gewaltsam verschleppt würden, werde in vielen Gesellschaften verdrängt. Der angemessene Umgang mit Toten sei aber ein Menschenrecht. Becka ist Moderatorin einer Arbeitsgruppe der Deutschen Kommission Justitia et Pax, die ein Papier zum gesellschaftlichen Umgang mit den Toten veröffentlicht hat.

Das Thema sei zugleich persönlich und politisch, sagte Becka. "Jeder kann sich vorstellen, wie es wäre, wenn ein naher Angehöriger stirbt oder verschwindet und nichts über seinen Verbleib bekannt ist. Es bleibt eine offene Wunde", sagt sie. Gerade weil der Umgang mit Verstorbenen so persönlich sei, könnten Machthaber oder Kriegsparteien dadurch Hinterbliebene verletzen. "Sie wissen, ihnen liegt daran, wie mit ihren Verstorbenen umgegangen wird", sagt Becka. "Es geht darum, die Hinterbliebenen zu treffen und Gesellschaften dadurch zu destabilisieren." Die Regeln des humanitären Völkerrechts schreiben vor, dass Tote identifiziert und auf eine würdige Art und Weise bestattet werden müssen.

Wenn möglich, sollen Riten der Religion des Verstorbenen berücksichtigt werden. Außerdem sollen Familienangehörige über das Schicksal ihrer verstorbenen Angehörigen informiert werden. Das werde aber in Krisen und Konflikten nicht immer gemacht, sagte Becka. Und in Deutschland behandele man Migration nur noch als ein innenpolitisches Problem, ohne überhaupt in Erwägung zu ziehen, was es eigentlich für die Menschen und ihre Angehörigen bedeute, die hierher kämen und möglicherweise hier oder auf dem Weg hierher sterben. In der Verantwortung seien zunächst staatliche Institutionen, die ihrer Verpflichtung aber nicht immer nachkämen, betont Beck. Es gebe daher auch eine Reihe von NGOs oder privaten Initiativen.

NGOs kümmern sich um Identifizierung von Toten

Auf der italienischen Insel Lampedusa gibt es etwa die NGO Mediterranean Hope, die auf der Flucht verstorbene Menschen bestatten lässt. Die italienische Forensikerin Cristina Cattaneo kümmert sich darum, Tote zu identifizieren. Allerdings sei das teuer und es gebe keine politische Bereitschaft, diese Kosten zu übernehmen, sagt Becka. Die Kommission appelliert daher an die Bundesregierung, sich auf internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass gerade besonders vulnerable Menschen über ihren Tod hinaus in ihrer Menschenwürde geschützt werden, sowie die Rechte ihrer Angehörigen verteidigt werden.

Am Volkstrauertag gedenkt Deutschland der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft. Vor mehr als 100 Jahren, im Jahr 1922, fand im Deutschen Reichstag in Berlin die erste offizielle Feierstunde zu einem Volkstrauertag statt. Die Initiative kam vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der einen Tag zur Erinnerung an die Kriegstoten des Ersten Weltkrieges angeregt hatte. Damals wurde der Volkstrauertag noch während der Passionszeit vor Ostern begangen.

Es handelt sich um einen sogenannten stillen Feiertag. Zahlreiche Kranzniederlegungen und weitere Veranstaltungen sollen zur Versöhnung und Völkerverständigung beitragen und rufen zu Toleranz und Frieden auf. Vor öffentlichen Gebäuden wehen die Flaggen auf halbmast. Der Bundespräsident spricht in der zentralen Gedenkstunde für die Opfer der beiden Weltkriege und des Nationalsozialismus traditionell das Totengedenken. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dabei 2020 erstmals auch die Opfer terroristischer, politischer, islamistischer, rassistischer und antisemitischer Anschläge und Morde einbezogen.