Im Auftakt dieses sehr besonderen Krimidramas sieht man einfach bloß ein Mann, der auf einem Trampelpfad durch ein Getreidefeld läuft. Unmittelbar drauf kippt die Stimmung jedoch, als Jan Vogt seine kleine Tochter im letzten Moment von ihrem Rad reißen kann, bevor sie vor ein Auto fährt. Der Einstieg nimmt vorweg, wie einen Tag später eine gleichfalls scheinbar kontrollierte Situation aus dem Ruder läuft: Polizeiobermeister Vogt (Justus Johanssen) ist Gruppenführer einer verschworenen Eingreiftruppe aus Oldenburg.
Die Beamten werden eingesetzt, wenn rund um eine Veranstaltung Ausschreitungen erwartet werden. In seinem Drehbuch beschreibt Jörg Tensing, wie es im Rahmen einer friedlichen Kölner Demonstration zu einer wilden Schlägerei kommt: Die Polizisten sollen eine Nebenstraße sichern, in der sich mehrere Privatbanken befinden.
Als Jan den Hinweis bekommt, dass eine verdächtige Person möglicherweise einen Molotow-Cocktail dabei hat, stürzt er sich mit seinen Leuten ins Getümmel. Innerhalb von Sekunden gerät die Lage komplett außer Kontrolle: Steine fliegen, Vermummte prügeln mit Holzlatten auf die Beamten ein, Jan wird niedergeschlagen, jemand zerrt ihm den Helm vom Kopf und haut ihm mit der Faust ins Gesicht; dann wird das Bild schwarz.
Diese sechs Minuten sind dank des Zusammenspiels von Schnitt, Musik und Sounddesign von einer enormen Intensität. Die Kamera ist mittendrin, die Hiebe treffen das Publikum ebenso wie den Beamten. Die Inszenierung dieser perfekt choreografierten und gerade deshalb fast schon quälend langen Eskalation dient jedoch keinem Selbstzweck, sondern der Empathie: Jan Vogt ist unzweifelhaft ein Opfer, kein Täter. Trotzdem gilt er fortan als Gesicht der völlig unangemessenen Brutalität, mit der die Polizei vorgegangen ist: Ein Video zeigt, wie er einen Pflasterstein aufhebt und in die Menge wirft.
Weil ein Lehrer im Rahmen der Demonstration von einem Stein am Kopf getroffen worden ist und später seinen Verletzungen erliegt, ermittelt eine Bonner Kommissarin (Brigitte Hobmeier) wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge. Unversehens steht Jan wie ein mittelalterlicher Verbrecher am öffentlichen Pranger, allerdings mit dem Unterschied, dass als Schandbühne heutzutage Online-Medien und die Boulevardpresse dienen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Formal orientiert sich Tensings Drehbuch nach der actionreichen Demoszene an den Konventionen des Krimigenres: Die interne Ermittlerin wird zur Hauptfigur und versucht durch Befragungen, die Ereignisse zu rekonstruieren. Auf diese Weise wird "Allein zwischen den Fronten" nun zu einem gänzlich anderen Film: Fortan dominiert die um Rückblenden ergänzte Dialogebene. Nacheinander rücken verschiedene Beteiligte ins Zentrum. Eine spezielle Rolle spielt dabei die Journalistin Aida Issufo (Cynthia Micas). Sie war die Person, in deren Tasche ein "Molli" vermutet wurde.
Dass die Einsatzkräfte angesichts der drohenden Gefahr nicht zimperlich vorgegangen sind, ist nachvollziehbar. Allerdings ist sie von einem Beamten rassistisch beleidigt worden, der Mann hat sie außerdem völlig unnötig mit seinem Gummiknüppel in die Nierengegend geschlagen. Nicola Rohde ist ein ausgezeichneter Krimi-Regisseur. Ein Markenzeichen seiner Filme ist die in der Regel vorzügliche Bildgestaltung.
Mit Kameramann Henner Besuch hat er vor Jahren bereits bei seinen sehenswerten "Julia Durant"-Episoden (Sat.1, 2019) zusammengearbeitet. Abgesehen von der zu großen Teilen aus subjektiver Sicht gefilmten Straßenschlacht wirken die fahlen Bilder diesmal jedoch fast dokumentarisch. Tensings Drehbuch zeichnet sich ohnehin durch eine möglichst realitätsnahe sachliche Schilderung der Ereignisse aus. Dazu passt auch das stark zurückgenommene Spiel von Brigitte Hobmeier.
Emotionen sind allein Jan Vogt vorbehalten, der irgendwann nicht mehr weiß, ob er seinen eigenen Erinnerungen trauen kann. Schließlich fühlt er sich wie eine zum Abschuss freigegebene Schießbudenfigur, weil sämtliche Beteiligten eine eigene Agenda verfolgen. Mehrmals unterbricht Rohde den Erzählfluss und lässt sie einen verstohlen wirkenden Seitenblick in die Kamera werfen: Der Einsatzleiter (Pierre Kiwitt) aus dem Kölner Polizeipräsidium wäscht seine Hände in Unschuld, die Journalistin verschweigt kurzerhand, was nicht zu ihrer Version der Wahrheit passt, und selbst Jans Chef (Max Koch) ist nicht so ehrenwert, wie er sich gibt.