Berlin (epd). Die Menschenrechtsexpertin Haimanot Bejiga fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, Äthiopien für schwere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. „Wir dürfen die Augen nicht vor dem verschließen, was in Äthiopien passiert. Es ist eine der schlimmsten humanitären Krisen des 21. Jahrhunderts“, sagte die Leiterin der Forschungs- und Advocacy-Arbeit von Amnesty International zu Eritrea und Äthiopien dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Trotz der offiziellen Beendigung des Konflikts in der Region Tigray im November 2022 eskaliere die Gewalt in anderen Landesteilen weiter, sagte Bejiga. Besonders betroffen seien die Regionen Amhara und Oromia. „Hunderttausende Menschen wurden vertrieben und Millionen Kinder können nicht zur Schule gehen. Auch die Gesundheitsversorgung ist stark eingeschränkt“, beschreibt Bejiga die derzeitige Situation.
Frauen und Mädchen in Äthiopien tragen Bejiga zufolge die schwersten Lasten des anhaltenden Konflikts. Sie sind neben den Vertreibungen und Angriffen durch die bewaffneten Gruppen auch sexuellem Missbrauch ausgesetzt. „Danach sind die Frauen oft mit dem Stigma der Gesellschaft konfrontiert, weil sie nach einer Vergewaltigung die Kinder von feindlichen Gruppen zur Welt bringen“, sagte Bejiga. Hinzu kommt, dass aufgrund der beeinträchtigten Gesundheitsversorgung häufig keine ausreichende medizinische Betreuung oder psychologische Unterstützung für die Frauen und Mädchen verfügbar ist.
Die Menschenrechtsexpertin kritisierte auch die fehlende Aufarbeitung der in Tigray begangenen Gewaltverbrechen durch die Regierung. „Es gibt kein Ende dieses Zyklus von Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen, solange Äthiopien nicht zur Rechenschaft gezogen wird“, sagte Bejiga. Die Bevölkerung habe kein Vertrauen in die staatlichen Institutionen des Landes, die Menschenrechtsverletzungen aufzuklären.
Im nördlichen Tigray kämpften die äthiopischen Streitkräfte an der Seite von Amhara-Milizen und eritreischen Soldaten gegen die Regionalregierung von Tigray und deren Armee. Beide Seiten verübten schwere Kriegsverbrechen, Premierminister Abiy Ahmed setzte Hunger als Waffe ein. Mindestens 600.000 Menschen starben innerhalb von zwei Jahren.