Düsseldorf (epd). Einkommensungleichheit und Verunsicherung sind unter den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Zudem haben sich Sorgen um den eigenen Lebensstandard in den vergangenen Jahren in der Bevölkerung ausgebreitet, wie der am Montag veröffentlichte Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergibt. Über 50 Prozent der Menschen in der unteren Einkommenshälfte sowie knapp 47 Prozent in der oberen Mittelschicht hatten demnach 2023 die Sorge, ihren Lebensstandard künftig nicht mehr halten zu können.
Vor allem als Folge der Coronakrise und der hohen Inflation zwischen 2020 und 2023 habe sich die Sorge um die eigene wirtschaftliche Lage bei vielen Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein deutlich verschärft, stellt der Bericht fest. Es gebe eine hohe Verunsicherung. Folge sei, dass auch das Vertrauen in den Staat zurückgehe.
So gehe weniger als die Hälfte der Menschen mit geringen Einkommen davon aus, dass die Demokratie noch gut funktioniere, hieß es. In der unteren Mitte seien es dagegen 52 Prozent, in der oberen Mitte sogar fast 60 Prozent. Die Daten zur Lebenslage stützen sich unter anderem auf Befragungen von rund 4.000 Personen zwischen 2020 und 2023. Nur ein Fünftel der in Armut lebenden Menschen vertraut demnach auf das Rechtssystem.
Vor diesem Hintergrund warnen Dorothee Spannagel und Jan Brülle als Autoren des Berichts vor einem Teufelskreis: Fehlender Wohlstand und Verunsicherung könnten dazu führen, dass immer mehr Menschen auf eine Teilhabe am politischen System verzichteten. Schon jetzt hielten mehr als ein Drittel der Geringverdiener und in Armut lebenden Menschen die Aussage „die regierenden Parteien betrügen das Volk“ für zutreffend, hieß es. Knapp 20 Prozent erklärten, bei der kommenden Bundestagswahl nicht wählen zu gehen. In der oberen Einkommensmitte liege dieser Anteil hingegen nur bei elf Prozent.
Eine „verantwortungsvolle Politik“ dürfe deshalb verschiedene Gruppen in der Gesellschaft nicht „gegeneinander ausspielen“, schreiben die Autorin und der Autor des Berichts. Als Beispiel wird etwa die jüngste Debatte um das Bürgergeld genannt. Bezieher von Bürgergeld seien darin „als faul und arbeitsunwillig“ hingestellt worden. Doch anstatt die „ohnehin zu knappen Leistungen“ weiter zu kürzen, um den Abstand zwischen Sozialleistungen und Erwerbseinkommen zu erhöhen, müssten vielmehr Niedriglöhne bekämpft und die Tarifbindung gestärkt werden, hieß es.
Auch Armut und Ungleichheit in Deutschland erreichten laut Bericht zuletzt neue Höchststände. Laut den neuesten verfügbaren Zahlen lebten 2021 knapp 18 Prozent der Bürger in Armut, 11,3 Prozent sogar in strenger Armut, hieß es. 2010 lagen beide Quoten noch bei 14,2 und 7,8 Prozent. Als einkommensarm gelten Haushalte, deren Nettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens beträgt. Das entspricht höchstens 1.350 Euro monatlich für einen Singlehaushalt. Von strenger Armut wird bei weniger als 50 Prozent oder 1.120 Euro monatlich gesprochen.
Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind dem Bericht zufolge Arbeitslose und Menschen mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss. Vollzeitbeschäftigte gehören unterdessen überwiegend zur sogenannten Einkommensmitte.