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Freitag, 1. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Micha denkt groß"
Sein verschlafenes Heimatdorf wirbelt Rückkehrer Micha ordentlich durcheinander mit der Idee, dort ein Luxus-Hotel eröffnen zu wollen. Moderner Heimatfilm zwischen Tragik und Komik, der durch seine improvisierten Dialoge besondere Würze bekommt.

Die beiden großen Schmidts, Helmut und Harald, haben mit dieser heiteren, aber im Grunde bitteren Komödie nicht das Geringste zu tun, doch die Handlung weckt die Erinnerung an zwei ihrer geflügelten Worte: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", lästerte der Bundeskanzler 1980 über den Parteifreund Willy Brandt. Und sein Namensvetter begleitete den Griff zum Wasserglas als Moderator seiner Sat.1-Show gern mit dem Satz "Ich sage ‚Ja’ zu deutschem Wasser."

Der glücklose Titel-"Held" des Films "Micha denkt groß" wäre vielleicht auch besser zum Arzt gegangen, das hätte ihm zumindest viel Kummer erspart, nachdem er nach Leibeskräften und lauthals "Ja!" zum Wasser seiner alten Heimat irgendwo in Sachsen-Anhalt gesagt hat.

Die Handlung beginnt mit einer Rückkehr: Vor vielen Jahren hat Micha (Charly Hübner) Klein-Schlappleben verlassen, um in der großen weiten Welt sein Glück zu machen. Das ist ihm tatsächlich gelungen: Als Schöpfer eines Zeitvertreibs fürs Smartphone und Gründer einer Agentur für Videospiele hat er es zu einem gewissen Vermögen gebracht. Das will er nun in das seit Jahren leerstehende und entsprechend runtergekommene Hotel seiner verstorbenen Eltern investieren.

Ihm schwebt ein Luxusdomizil für reiche Berliner vor, die sich auf dem Land eine Auszeit nehmen können. Ein mitreißender und von viel englischem Fachvokabular durchsetzter Vortrag soll die Gemeindemitglieder von seinem Plan überzeugen. Die Bürgermeisterin (Annett Sawallisch) ist begeistert, Michas Jugendfreundin Tina (Jördis Triebel), der er eine gutdotierte Stelle als Masseurin verspricht, ebenfalls; die anderen bleiben zunächst skeptisch.

Im modernen Heimatfilm sind Männer wie Micha normalerweise der Feind, weil ihre hochfliegenden Pläne Unruhe ins Dorf bringen und die Natur zerstören. Das ist hier anders, zumal der Mann dank Charly Hübners nuanciertem Spiel von vornherein ein gewisses Mitgefühl weckt. Michas wort- und weltgewandtes Gewese ist offenkundig Fassade. Trotzdem wirkt er nicht wie ein Blender, sondern eher wie ein Verzweifelter, zumal das Drehbuch früh erahnen lässt, dass der Film die Geschichte eines angekündigten Scheiterns erzählt.

Autoren sind neben Hübner selbst die beiden Regisseure Lars Jessen und Jan Georg Schütte sowie Christian Riedel, der bereits im Hintergrund an "Für immer Sommer 90" (2020) beteiligt war; Jessen, Schütte und Hübner haben für den Film den Grimme-Preis bekommen.

Das über weite Strecken improvisierte Roadmovie war eine Reise in die Vergangenheit, und auf seine Weise ist "Micha denkt groß" das auch, denn in Klein-Schlappleben scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Sollte sich hier seit der "Wende" etwas verändert haben, dann nicht zum Besseren, weshalb der nach Herzenslust stänkernde ehemalige Deutschlehrer Schlüter (Schütte) mit seinen rechten Parolen leichtes Spiel hat.

Der Agitator wird zum großen Gegenspieler, als sich rausstellt, dass Michas Traum zu platzen droht, weil nach Jahren der Dürre erheblicher Wassermangel herrscht. Damit ist die Komödie bei einem ernsten Thema, über das allerdings erst die epilogischen Schrifttafeln informieren. Deutschland ist eine der Regionen mit dem weltweit höchsten Wasserverlust: Seit über zwei Jahrzehnten kommen dem Land jedes Jahr 2,5 Billionen Liter abhanden; das entspricht dem Inhalt des Bodensees.

Die Dorfbewohner sitzen also alle im gleichen Boot, doch anstatt in dieselbe Richtung zu rudern, graben sie sich buchstäblich gegenseitig das Wasser ab, was zu einigen zwar heiteren, aber im Grunde natürlich gar nicht witzigen Szenen führt, wenn die Beteiligten eingeseift unter der Dusche stehen und plötzlich auf dem Trockenen sitzen. Wären die Bäche nicht ausgetrocknet, würde Micha seine Felle spätestens jetzt davonschwimmen sehen.

Anders als bei Milchbauer Hermann (Peter Kurth), ein verbitterter Witwer, der sich vor Schlüters Karren spannen ließ, scheint seine Zuversicht jedoch unerschütterlich, selbst wenn Freundin Jenny (Natalia Rudziewicz) ihn inständig bittet, sich endlich von seiner aufgrund der immer tieferen Brunnen immer teureren Schnapsidee zu verabschieden.

Aller Tragik zum Trotz ist der Film dank der improvisierten Dialoge sehr witzig. Sehenswert ist auch die Bildgestaltung (Kamera: Moritz Schultheiß) mit ihren Western-Einstellungen; dazu passt neben der Musik (Jakob Ilja) auch der Showdown auf der Hauptstraße. Der Stoff ist ja ohnehin ein typisches Western-Thema, aus dem das verantwortliche Quartett allerdings einen "Ostern" (mit kurzem O) gemacht hat.