Die Ereignisse der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober belasten Annegret Warnecke noch immer. "Das ist ein Alptraum", sagt die Vorsitzende des Kirchenvorstands der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Wulsdorf in Bremerhaven. Zwei Nächte lang hat sie kaum geschlafen. Der Grund: Der Turm der Dionysiuskirche brannte.
Was an der Straße "Am Jedutenberg" geschah, konnte Warnecke nur aus der Ferne über WhatsApp-Nachrichten der Anwohner verfolgen – die Polizei hatte das Gebiet aus Sicherheitsgründen weiträumig abgesperrt. Die Menschen mussten in ihren Häusern bleiben. Fotos und Nachrichten zeigten den lichterloh brennenden Turm der alten Wehrkirche, deren Anfänge bis ins Jahr 885 zurückreichen.
Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Karl der Große mehrere hölzerne Dionysiuskirchen erbauen ließ. Auch die Wulsdorfer Dionysiuskirche entstammt der Zeit Karls des Großen um 800 – damals ebenfalls als Holzkirche. Nachdem nacheinander drei abgebrannt waren, deren Asche noch im Fußboden der Dionysiuskirche nachzuweisen war, wurde um 1000 die jetzige Feldsteinkirche gebaut. Die Kirchengemeinde informiert auf ihrer Webseite: "Wulsdorf wird als Wallestorpe erstmals in einer Stiftungsurkunde des Ritters Trutbert zugunsten des Klosters St. Paul 1139 erwähnt. Die erste urkundliche Nachricht von der Dionysiuskirche stammt aus dem Jahr 1313."
Schaden noch unbekannt
Der Schaden kann noch nicht beziffert werden. Doch Dirk Tacke von der Bremerhavener Außenstelle des Amts für Bau- und Kunstpflege Verden ist sicher: "Alles, was aus Holz im Turm ist, ist wohl nicht mehr zu retten." Er ergänzt: "Es ist ein Verlust der historischen Zimmermannskunst." Am Samstag informierte sich auch Dr. Hans Christian Brandy, Regionalbischof für den Sprengel Stade, vor Ort. Der Kirchenkreis Bremerhaven gehört zu seinem Zuständigkeitsbereich. "Es ist ein erschütterndes Bild", sagt Brandy.
Im hinteren Teil ist das Kirchenschiff eingerüstet. Auf dem Dach flattert blaue Folie, die das Dach vor herabfallenden Trümmerteilen schützt, erläutert Warnecke. Sie und Brandy suchen nach den beiden noch im Turm hängenden Glocken der Turmuhr. Seit dem Brand fragen sich die Menschen: Bleiben die Glocken oben oder stürzen sie in den Turm? Beide Glocken gehören nicht zum Geläut; der Glockenturm steht vor der Kirche. Warnecke hofft, dass die Glocken nicht durch die Hitze des Feuers beschädigt wurden.
Wann sich konkrete Aussagen über den Schaden und die Brandursache machen lassen, ist unklar. "Frühestens kommende Woche", erklärt eine Sprecherin der Ortspolizeibehörde Bremerhaven. Bis dahin bleiben Turm und Gemeindezentrum inklusive Gemeindebüro gesperrt und der Strom abgeschaltet. Bevor die Ermittler die Ruine des Turmes betreten können, müssen die Reste des Turmdaches abgetragen werden, weiß Warnecke.
Gottesdienste beim Sportverein?
Erst dann wird sich zeigen, in welchem Maße das Kirchenschiff durch das Löschwasser beschädigt wurde. Tacke lobt die Vorsicht der Rettungskräfte: "Die Feuerwehr hat wirklich sehr gut gearbeitet." Aber nicht nur diese Schäden müssen untersucht werden, sondern auch die durch den Brandrauch. Tacke hofft, dass dieser nicht in die historische Orgel gezogen ist. Eine Fachfirma hat bereits mit den ersten Reinigungsarbeiten begonnen. Gleichzeitig leiten die Verantwortlichen alles für den Wiederaufbau in die Wege. Darüber berät der Kirchenvorstand zusammen mit Tacke bereits am Montag. Er informiert zudem darüber, dass es in Kürze ein Gespräch mit der Versicherung geben wird.
Das alles sind für Annegret Warnecke die ersten Lichtblicke nach dem Schock des Brandes. Für Licht sorgen auch die Menschen und Institutionen des Stadtteils. Dort ist die Gemeinde gut vernetzt. So hat der TSV Wulsdorf seine Räume für die Gottesdienste angeboten. "Das trägt unheimlich", freut sich Warnecke. Ob die Gemeinde darauf zurückgreift, ist noch unklar. Zum Glück gibt es noch den zweiten Standort, die Martin-Luther-Kirche. Diese steht zum Verkauf. Daran werde sich laut Warnecke nichts ändern.
Update
Inzwischen sind die Ermittlungen der Polizei Bremerhaven zur Brandursache abgeschlossen. Demnach kann laut Kriminalpolizei "mit hoher Wahrscheinlichkeit eine vorsätzliche Brandlegung ausgeschlossen werden". Die Ermittler gehen von einem "technischen Defekt im Dachbereich des Kirchturms" aus. Deren Arbeit sei aufgrund der Einsturzgefährdung äußerst schwierig und gefährlich.