Frau betet mit erhobenen Armen
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Der bewußte Körpereinsatz beim Gebet verstärkt die Verbindung zu Gott.
Spirituelle Erfahrungen
Beten mit Körper und Seele
Das Gebet ist Ausdruck inneren Lebens. Es braucht daher nicht nur Gedanken und Worte, sondern den ganzen Körper, um die Beziehung zu Gott lebendig zu halten.

Im vergangenen Sommer habe ich mich auf den Weg nach Frankreich gemacht. Etwa eine Stunde mit dem Zug südwestlich von Paris entfernt befindet sich das gotische Meisterwerk: die Kathedrale Notre-Dame de Chartres. Viele Menschen suchen seit Jahrhunderten diese Kathedrale auf. An diesem Ort verbinden sich Himmel und Erde.

Ich spürte nach wenigen Stunden, hier einen Ort der Suche nach dem "Inneren Weg" und der Gottessuche entdeckt zu haben. Der französische Bildhauer Auguste Rodin soll beim Betreten des Kirchenraumes gesagt haben, er betrete den Raum seiner Seele. Eine schöne Beschreibung finde ich: In der Kathedrale Notre-Dame de Chartres wandelt der Einzelne in seiner eigenen Seele. Alles in diesem Raum sucht die Begegnung mit ihm. Die Glasfenster im Chartreser Blau und die Portale der Kathedrale werden zur Spiegelung des Lichtes vom göttlichen Licht.

Verbunden mit der inneren Mitte

Chartres ist auch bekannt für das große mittelalterliche Labyrinth, das bis heute fast unverändert erhalten ist. Es fasziniert als Symbol für das eigene Leben und für die "Reise nach Innen". Ich ging an einem Abend durch das Labyrinth und verband diesen Weg mit kleinen Körperhaltungen. In mir stiegen die Worte "Die Kraft aus der Mitte schütze mich", die mir der Komponist Helge Burggrabe gab, auf: Ich legte meine Handflächen über Kreuz auf meine Brust und ging durch das Labyrinth. Das ist eine schützende Körperhaltung, die ausdrückt, mit der inneren Mitte verbunden zu sein: Ich wandle in Gott. Das gibt mir Hoffnung und Geborgenheit auf allen Wegen und Umwegen des Lebens.

Lange Zeit wurde die Körperlichkeit im religiösen Bereich vernachlässigt. Das hat sich geändert: Heute wird der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen. Körper, Seele und Geist gehören zusammen, so auch im Gebet. In der biblischen Tradition ist das Beten nie nur als ein reines Wortgeschehen verstanden worden. Im Psalm 63, 4-5 heißt es: "So will ich dich loben mein Leben lang und meine Hände in deinem Namen aufheben."

Meine Erfahrung ist, dass ein Gebet als ganzheitlich erlebt wird, wenn es mit Körperhaltungen verbunden wird. Sich in einer Körperhaltung zu sammeln und sich innerlich auszurichten, kann die Gebetspraxis vertiefen und stärkt die Selbstwahrnehmung. Die Hände zu falten kann Ausdruck des Sammelns und der Konzentration sein. Es gehört für mich zu einem schönen Ritual, bei einem Auszeittag oder einer Einkehrzeit im Kloster die Teilnehmenden einzuladen, ihre Hände in Form einer Schale vor sich zu halten und alles, was sie gerade empfinden, in der Vorstellung sanft in Gottes Hand zu legen. Das kann auch ein schönes Abendritual sein: Am Ende des Tages alles Erlebte Gottes Hand anzuvertrauen und die Wort zu sprechen: "Gott, in deine Hände lege ich mein Leben." Manchmal bleiben Worte aber aus; dann sind es Körperhaltungen, die Inneres nach Außen bringen können: Die Hände zu einer offenen Schale zu formen, kann Unsagbares und Unaussprechbares "hörbar" machen. Auch Momente der Dankbarkeit geben Anlass zum Beten mit dem Körper: Die Hände lassen sich zum Himmel strecken. In dieser Körperhaltung einmal nachzuspüren, dass das Leben ein Geschenk ist, kann ein leibhafter Ausdruck sein. Das ganze Menschsein richtet sich so zu Gott hin aus. Oder den Morgen ganz bewusst mit dem Kreuzzeichen zu beginnen, wie es auch Martin Luther im Morgen- und Abendsegen empfiehlt, kann eine Weise des Betens sein. Das Sichbekreuzen verleiblicht die Glaubensweisheit, dass Gott in Leib und Seele da ist: Mit den Fingern sanft die Stirn, die Brust, die linke und rechte Schulter zu berühren, schließt so den ganzen Leib ein und weiß ihn von Segen umhüllt.

Eine Haltung der Verbundenheit

Christliche Spiritualität, die Verbundenheit mit Gott, ist nie nur etwas Geistiges, sondern eine ganzheitliche Suche und Begegnung. Das Beten mit dem Körper kann deshalb ein ganzheitlicher Weg sein, um Gott in allen Dingen zu erahnen. Auch den Morgen bewusst zu beginnen, ist für mich wichtig geworden: "Verwurzelt bin ich in der Erde, verwurzelt bin ich in dir, Gott": Ich stehe aufrecht, schließe meine Augen und stelle mir vor, wie meine Füße tief in der Erde verwurzelt sind. Ich stehe zwischen Himmel und Erde. In dieser Körperhaltung verweile ich und bin einfach da. Nach einer Weile beende ich dieses kleine Ritual damit, dass ich meine Handflächen zusammenlege und mich verneige. Das ist ein inniger Moment: Mit allem Lebendigen bin ich verbunden.

Der Leib als Tempel des Heiligen Geistes

Der Apostel Paulus meint, der Leib sei der Tempel des Heiligen Geistes (1. Korinther 6, 19). Wenn der Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, dann wohnt Gott in ihm. Das bejaht und heiligt das Leben, so drückt es der evangelische Theologie Jürgen Moltmann in dem Aufsatz "Eine Spiritualität der Sinne" aus. Da das Gebet nie nur ein Denken ist, sondern Ausdruck inneren Lebens, braucht es äußere Bewegungen und Formen. Auch der Tanz ist es, der Menschen mit dem Geheimnis des Lebens verbindet. Im Tanz wird inneres Erleben in äußere Bewegungen gebracht.

Die evangelische Theologin Dorothee Sölle meint: "Der Tanz der Gottesliebe kann nicht allein getanzt werden." Das ist ein schöner Gedanke: Im Tanz sind Menschen miteinander verbunden und verbinden sich im Göttlichen. Im Beten mit Leib und Seele ist angelegt, was Leben lebendig und weit macht: ganzheitlich in Verbindung mit dem Geheimnis des Lebens zu sein.

Innehalten im Alltag

Körpergebet, verfasst von Günter Hänsel mit Pater Anselm Grün, Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach

Aufrecht stehend: Ich sammle mich und halte inne. In dir, Geheimnis des Lebens, bin ich. Ich bin umgeben von dir. Hände gekreuzt auf Brusthöhe legen: Auch in meinem Inneren bist du da. Du trägst den Namen: Ich bin da. Hände zu einer Schale formen: Meine Seele lauscht in der Stille nach dir. Hände zur Seite öffnen: In allem suchst du die Begegnung. In allem Lebendigen scheinst du mir entgegen. Hände gekreuzt auf Brusthöhe legen: In dir, Geheimnis des Lebens, bin ich ganz bei mir und daheim in dir. Hände zusammenführen und verneigen: Amen.

Günter Hänsel schrieb den Text im Auftrag der Kirchenzeitung "Die Kirche". Die Redaktion von evangelisch.de bedankt sich für die Kooperation.