Leeres Predigtpult in Kirche
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Pastorin Johanna Klee beschreibt, warum es gut ist, dass Prediger:innen sich in der realen Marktsituation der Konkurrenz mit anderen Anbietern um die Freizeitgestaltung von Menschen stellen.
Wettbewerb in der Kirche?
Unternehmen können von Kirche lernen
Entgegnung an Jörg Knoblauch
Unternehmer Jörg Knoblauch hat in einem Interview auf evangelisch.de mehr Wettbewerb unter Pfarrer:innen gefordert. Zu Unrecht, meint Pastorin Johanna Klee in ihrem Gastbeitrag.

In seinem Interview  fordert der Unternehmer und Unternehmensberater Jörg Knoblauch unter anderem mehr Wettbewerb unter Pfarrpersonen: "Es gibt leider keinerlei Kultur in der Kirche, um Leistung messbar zu machen oder um Predigten und Gottesdienste regelmäßig zu evaluieren und zu verbessern. Hier braucht es ein Umdenken."

Ein Wettbewerb unter Predigenden? Manchmal gibt es das, so in Form eines Predigt Slams. Da treten Menschen in einer Kirche gegeneinander an, indem sie zu einem Bibelvers predigen. Das Publikum entscheidet mit Stimmtafeln, wer die beste Predigt des Abends gehalten hat. Ein Kollege von mir, der gerne slammt, findet das so großartig, dass er in einem Gespräch zu mir meinte: "Wäre das nicht toll, wenn jeder Pfarrer und jede Pfarrerin wie beim Fußball ein eigenes Fanlager hätte? Und die würden dann Sonntag für Sonntag durch die Stadt ziehen und ihre Pfarrpersonen anfeuern?" Das klingt erst einmal großartig, und natürlich bin auch ich neidisch, wenn der Kollege aus Hannover mit seinen Filmmusik-Gottesdiensten mittlerweile 120 statt 10 Personen erreicht und der Kollege aus Hamburg mit seinem Spielplan-Modell seinen Gottesdienstbesuch um 50 Prozent steigert.

Es gibt bereits einen Wettkampf

Es gibt Wettkampf und Konkurrenz unter Menschen, die regelmäßig verkündigen. In der Stadt, in der ich lebe, sind die Kirchen nur einen Steinwurf weit voneinander entfernt. Und so suchen sich die Kirchenmitglieder schon sehr genau aus, zu wem sie gehen. Und wenn es nicht der Gottesdienst ist, dann gehen sie – sehr viel wahrscheinlicher – zum Sportverein, zum Familienbrunch oder zu den Pilzen in den Wald. In den kirchlichen Orten stellen wir uns tagtäglich der realen Marktsituation und konkurrieren mit anderen Anbietern um die Freizeitgestaltung von Menschen.

Autor:in
Johanna Klee

Johanna Klee ist Pfarrerin und arbeitet als Studienleiterin im Theologischen Zentrum der Evangelischen Kirche in Braunschweig. Außerdem schrieb sie lange Zeit Antworten im Fragenbereich von evangelisch.de.

 

Wie sich Menschen entscheiden, das ist jeweils komplex und – schade eigentlich – nicht vom eigenen Können und der eigenen Qualität abhängig. Die Lage der Kirche, die Zusammensetzung des Stadtteils, die Altersverteilung entscheiden ebenfalls darüber. Und so ist es vielleicht wenig verwunderlich, dass es in einem kinderreichen Stadtteil dreimal so viele Taufen wie Beerdigungen gibt. So einfach ist es also mit dem Wettbewerb nicht. Hinzu kommt, dass Hauptamtliche über Jahre einer sehr realen Wettbewerbssituation um Stellen ausgesetzt waren. Nicht wenige erinnern sich noch daran, dass sie sich gegen andere durchsetzen mussten, um für die Kirche arbeiten zu dürfen – und selbst das oft nur mit Stellenteilung. Oftmals liefen Stellenbesetzungen intransparent ab. Wer sich mehr Wettbewerb unter Hauptamtlichen wünscht, müsste sich demzufolge für eine nachvollziehbare Personalentwicklung einsetzen. Nicht zu schweigen davon, dass wir momentan gar kein Personal mehr haben, das miteinander in Konkurrenz treten könnte.

Ein letzter Punkt ist, dass sich kirchliche Arbeit nicht allein am Gottesdienstbesuch messen lässt. Seelsorgliches und diakonisches Handeln geschieht häufig hinter den Kulissen. Genauso wie die Zeit, die für Gemeindeleitung, Verwaltung, Bau, Finanzen und Gremienarbeit drauf geht. Wäre dann also als Wettbewerb zu messen, wer die meisten Seelsorgegespräche geführt, wer den meisten Hilfesuchenden Geld gespendet oder wer die meisten Fördermittel eingeworben hat?

Unternehmen können von der Kirche lernen

Ich glaube, dass eher umgekehrt Unternehmen etwas von der kirchlichen Arbeit lernen können. Wohin hat uns Leistungs- und Konkurrenzdenken wirtschaftlich in den letzten Jahren gebracht? Wir befinden uns in weltweiten Krisenerscheinungen, die Natur leidet und wirtschaftliche Betriebe müssen angesichts von Fachkräftemangel, KI-Revolution und weiteren Faktoren über Exnovation nachdenken. Aufgrund dessen fordern Managerinnen wie Elly Oldenbourg einen "Workshift". Sie schreibt darin unter anderem: "Messwerte verändern Verhalten. Denn wo das Erreichen von Zielen mit Belohnungen verbunden wird, mit Wettbewerb, da drehen Menschen ihre Perspektive um: Weg von der Komplexität der professionellen Aufgabe, hin zum Zahlenspiel […] Der Fokus aus maximalen Erfolg ist kein nachhaltiger Zustand". Und weiter: "Der Verlust der Solidarität destabilisiert nicht nur jeden einzelnen Menschen, er desintegriert auch die größeren Systeme der Zusammenarbeit" – bis hin zur Demokratie. Sie setzt sich deswegen für Zeitsouveräntität, Diversität und Kollaboration ein. Als ich die Thesen von Elly Oldenbourg gelesen habe, ist mir bewusst geworden, wie viel davon schon heute innerhalb des kirchlichen Systems realisiert ist. Wir richten uns nicht an Kennzahlen, sondern bestenfalls an christlichen Werten aus, an gelebter Gottes- und Nächstenliebe, an Solidarität. Damit tragen kirchliche Orte dazu bei, die Welt nachhaltig und demokratiefähig zu gestalten.

Letztens habe ich vertretungsweise einen Gottesdienst in der Kirche meines Kollegen gehalten. Dem, der gerne ein eigenes Fanlager hätte. Es kamen zwei Leute zum Gottesdienst. Und einer, der Geld wollte. Es ging um die Liebe von David und Jonathan zueinander. Nachdem Gottesdienst war ich, zugegeben, sehr ernüchtert. Ich hätte meinen Sonntag auch im Sportverein verbringen können. Am Ausgang sprach mich einer der Gottesdienstbesucher an. Es wurde ein langes und intensives Gespräch über die Auslegung der Bibel. Er war gerade mit seinen eigenen Fragen zu Identität und Liebe beschäftigt. Es kamen vielleicht nicht viele Menschen in diesen Gottesdienst, aber für diesen einen Menschen, hat es doch einen Unterschied gemacht, dass ich am Sonntag da war. Und gepredigt habe: Über ein Herzensthema, das mir wichtig war.