Wer sich als Günstling des Schicksals fühlt, stellt das unverhoffte Glück zumeist nicht in frage. Deshalb wundert sich Juristin Thirza Zorniger auch nicht weiter, als sie trotz eines eher mittelmäßigen Abschlusses frisch von der Uni ans Münchener Landgericht berufen wird. Die Begründung ist zwar nicht schmeichelhaft, aber plausibel: Die jungen Leute mit den besten Noten gehen lieber zu Wirtschaftskanzleien, da lässt sich deutlich mehr Geld verdienen.
Thirza (Amelie Kiefer) ist das egal, denn es war immer ihr großer Traum, Richterin zu werden. Als sie am ersten Arbeitstag beherzt einer Klägerin beisteht, die von einer Panikattacke erfasst wird, und prompt in die Zeitung kommt, scheinen sich die Dinge in die richtige Richtung zu entwickeln. Auch privat ist alles in Butter, selbst wenn Herbert (Leo Reisinger), ein Kollege für Verwaltungsrecht, seinen Antrag etwas hölzern vorträgt. Was könnte also noch schiefgehen? Die Antwort liegt auf der Hand, sonst wäre der Film schon nach wenigen Minuten zu Ende: alles natürlich.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der nach Reihenauftakt klingende Titel "Servus, Euer Ehren" wirkt allerdings gar nicht wie ein Dramensignal. Gleiches gilt für die Musik (Josef Bach, Arne Schumann), die beschwingte Fröhlichkeit verbreitet. Dabei ist die Geschichte durchaus ernst zu nehmen.
Eigentlich soll Thirza als Schwangerschaftsvertretung einen riesigen Berg an Altlasten abtragen, aber schon beim ersten Fall stößt sie auf Ungereimtheiten: Eine junge Frau (Yulia Yanez Schmidt) hat bei einem Bootsunfall auf dem Starnberger See ihren Unterschenkel verloren. Es gibt bereits ein Amtsgerichtsurteil; in der Verhandlung am Landgericht geht es um die Höhe der Entschädigung.
Eine reine Formsache, versichert Kaspar Epha (Helmfried von Lüttichau). Der Kammervorsitzende erwartet von der jungen Richterin schnelle, effiziente Urteile. Als sie aber entdeckt, dass ein Journalist (Karim Günes), der sich mit den Ereignissen befasst hat, mundtot gemacht worden ist, stellt sie auf eigene Faust Nachforschungen an.
Carolin Otto hat ihr Drehbuch nach Motiven des Romans "Justizpalast" von Petra Morsbach verfasst. Die Handlung ist interessant, auch wenn die Interpretation der Rollen erwartbar ist: Amelie Kiefer versieht die Richterin auf Probe mit der passenden Dosis Gerechtigkeitsempfinden, Helmfried von Lüttich verkörpert den väterlichen Kammervorsitzenden mit viel Jovialität. Eine wandelnde Geduldsprobe ist dagegen die Sekretärin (Lilly Forgách): Wie sich rausstellt, ist Thirza die Tochter eines bekannten Schauspielers, den die Dame hemmungslos verehrt, weshalb sie die Richterin bei jeder sich bietenden Gelegenheiten mit privaten Fragen und der Bitte um Freikarten nervt.
Robert Palfrader hingegen nutzt seine Szenen als Carlos Zorniger für diverse amüsante Einlagen als "weltbeste Rampensau". Seine Selbstinszenierungen sind der Tochter allerdings regelmäßig mehr als peinlich, erst recht, wenn der Bühnenstar in der Gerichtskantine einen Auftritt als König Lear hinlegt.
Trotz solcher Heiterkeiten bleibt der Film in erster Linie ein Drama nach typischem Muster: Es geht selbstredend um die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit. Entsprechend vorgezeichnet ist der Weg, den Thirza im Luther’schen Sinn gehen muss: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders"; und das, obwohl vom Opa (Wilfried Kargus), selbst ehemaliger Richter, bis hin zur wohlmeinenden erfahrenen Kollegin (Jutta Fastian) alle davor warnen, dass sie mit ihrem heroischen Trotz die Festanstellung riskiert. Herbert wirft ihr vor, sie bewerte alles moralisch, aber weiter komme nur, wer praktisch denke und handele; kein Wunder, dass er beim Antrag als erstes die steuerlichen Vorteile erwähnt.
Regie führte Katharina Woll. Das ZDF hat im Sommer ihren Debütfilm "Alle wollen geliebt werden" (2023) als "Kleines Fernsehspiel" ausgestrahlt. Ihre erste richtige Fernseharbeit ist allerdings denkbar konventionell ausgefallen. Das gilt für die regelmäßig integrierten touristischen Impressionen, aber mehr noch für die fast schon betuliche familiäre Ebene.
Thirzas Großtante lebt zwar offenbar mit einer Frau zusammen, aber davon abgesehen wirken die Esstischszenen, als seien sie vor allem mit Blick auf den älteren Teil der Zielgruppe inszeniert. Immerhin durfte das Filmteam tatsächlich im Justizpalast drehen, und natürlich haben Woll und Kamerafrau Carmen Treichl dafür gesorgt, dass die Bilder die Atmosphäre dieses von Thirza mit großen Augen bestaunten ehrwürdigen Hauses angemessen einfangen. Der Epilog macht eine Fortsetzung möglich.