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Donnerstag, 3. Oktober, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Kati – Eine Kür, die bleibt"
Nach der Wende startet DDR-Eislaufstar Katarina Witt ein Comeback. Der Film beleuchtet die glänzenden aber auch die kritischen Momente einer Biografie aus dem geteilten Deutschland.

Keine Karriere geht stetig steil nach oben; auch und gerade nicht im Sport. Biografien sind ohnehin immer dann am interessantesten, wenn ein Bruch den Lebenslauf abrupt in eine andere Richtung treibt. Manchmal trifft dieses Schicksal eine gesamte Nation.

Die Idee, die Folgen der "Wende" ausgerechnet anhand von Katarina Witt zu erzählen, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, aber sie funktioniert erstaunlich gut. Clever integriert Autorin Andrea Stoll eine mögliche Kritik gleich zu Beginn in die Handlung, als sich Eiskunstlauf-Star Witt 1993 am Flughafen Tegel auf dem Weg zur Eisshow in den USA sagen lassen muss, sie lande immer auf der Schokoladenseite. Der Satz gibt ihr zu denken: DDR-Erfolge zählen nicht mehr.

Fünf Jahre nach ihrem Abschied vom Leistungssport holt sie ihre frühere Trainerin aus dem Ruhestand: Jutta Müller soll sie auf ein Comeback bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer vorbereiten. Die Trainerin hält das angesichts einer Konkurrenz im Teenageralter für eine Schnapsidee: "Olympia ist was anderes als in Las Vegas mit dem Popo zu wackeln."

Schon dieser Teil der Geschichte wäre ein reizvoller Stoff, und tatsächlich konzentriert sich der Film zunächst auf das scheinbar aussichtslose Unterfangen, aus der Eisprinzessin wieder eine Profisportlerin zu machen. Auf dieser Ebene ist "Kati – Eine Kür, die bleibt" vor allem darstellerisch sehenswert. Theaterschauspielerin Lavinia Nowak, im Fernsehen bislang meist als Episodengast besetzt, hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Witt und trifft auch den Tonfall des in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) aufgewachsenen Vorbilds recht gut.

Jenseits von Hand- und Mundwerk überzeugt die gebürtige Münchenerin jedoch in ihrer Rolle als junge Frau, die auf dem verbissenen Weg zum selbstgesteckten Ziel immer wieder Rückschläge verkraften muss. Eine technisch sehr saubere Kombination der Handlung mit Double-Szenen und Rückblenden sorgt dafür, dass auch der Eiskunstlauf nicht zu kurz kommt.

Nowaks Leistung ist umso respektabler, als sie sich an der Seite einer ungleich erfahreneren Kollegin bewähren musste. Dagmar Manzel gelingt als Trainerin mit der Lizenz zum Quälen das Kunststück, der Verbitterung Müllers, die nach der Wende von der Deutschen Eislauf-Union kaltgestellt wurde, durchaus positive Seiten abzugewinnen. Kleine Momente genügen ihr, um anzudeuten, dass der Panzer aus Weltverachtung eine tiefe Verletztheit kaschiert.

Zwar sind ihre vor sich hin gemurmelten Kommentare oder die im Mundwinkel versteckte Ironie durchaus sympathisch, aber liebenswert wird sie erst durch den Mann an ihrer Seite: Sylvester Groth erfüllt den Gatten mit aufrichtiger Zuneigung. Ohnehin sorgen viele beiläufige Momente dafür, dass "Kati – Eine Kür, die bleibt" weit mehr als bloß ein Sportfilm ist (Regie: Michaela Kezele).

Zu einem passenden Werk für den Tag der deutschen Einheit wird der Film, als die Sportlerin, angestoßen durch ein Interview mit einem berüchtigten Boulevardblatt und daraus resultierender Schlagzeile ("Katarina Witt – Wie war das mit der Stasi?"), Einsicht in ihre Staatssicherheitsakte nimmt - wobei der Begriff "Akte" eine Verniedlichung ist: Es handelt sich um 27 Ordner.

Die Einträge begannen, als sie gerade mal sieben Jahre alt war. Fortan erklingen immer wieder Zitate aus dem Off, die dokumentieren, mit welch’ absurder Akribie Witt rund um die Uhr bespitzelt wurde. Beim dramaturgisch eher überflüssigen Waldspaziergang stellt sie Egon Krenz (Alexander Schubert) zur Rede; er war als Generalsekretär des SED-Zentralkomitees auch für den Sport und somit für den einzigen Bereich zuständig, in dem die DDR Weltklasse erreichte.

Wichtiger und zudem hochaktuell ist hingegen eine Erkenntnis Müllers, die sinngemäß feststellt: Viele Menschen beißen sich in der Vergangenheit fest, um einen Grund zu haben, warum es in der Gegenwart nicht klappt.

Andrea Stoll hat Drehbücher für viele wichtige und oft ausgezeichnete Filme verfasst, darunter das Emanzipationsdrama "Aufbruch in die Freiheit" (2018), die Tragikomödie "Familienfest" (2017)  sowie "Und alle haben geschwiegen" (2013, alle für's ZDF), ein bedrückender Film über die verdrängte Geschichte der deutschen Heimkinder. Zuletzt war sie in erster Linie mit der von ihr entwickelten und nicht nur wegen der Naturaufnahmen sehenswerten ARD-Reihe "Reiterhof Wildenstein" über eine ehemalige Dressurreiterin beschäftigt. Dazu passt der bewegende Schluss von "Kati" mit der sportfilmtypischen Botschaft, dass man nicht Erste werden muss, um die Herzen der Menschen zu gewinnen.