Als vor 30 Jahren ein evangelischer Pastor aus Hamburg den Kalender "Der Andere Advent" entwarf, ahnte noch niemand, dass dieses Medium mit 650.000 Exemplaren verkaufter Auflage pro Jahr zum Bestseller werden wird. Der Pastor Hinrich Westphal gehörte zur Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche und bald schon koppelte sich das Projekt von der Landeskirche ab. Der Verein "Andere Zeiten" als kirchenunabhängiger Herausgeber entstand. Heute so etwas wie ein Medienhaus mit eigenem Vertrieb und einem Umsatz in Millionenhöhe. Was den Wandkalender "Der Andere Advent" auszeichnet, ist die wilde Mischung der Texte und Bilder und die wenig fromme, altbackene Art, die man sonst bei religiösen Kalendern erwartet.
Was genau ist anders? Andere-Zeiten-Chefredakteurin Iris Macke sagt, es seien eben die Fotos und Texte, die nicht ausdrücklich von Advent reden. "Aber dass sie genau die Fragen thematisieren, die in der Advents- und Weihnachtszeit hochkommen: nämlich: Was trägt mich? Was ist mir wichtig und wo will ich hin?" Und Theologin Macke ergänzt, wenn im Kalender jeden Tag ein Adventsgedicht oder ein Adventslied auftauchte, dann wäre der "Andere Advent" nicht das, was er ist. Trotzdem thematisiert der Kalender Fragen, die sich im Advent stellen.
So finden sich auf den Kalenderseiten vom 30. November bis zum Dreikönigsfest am 6. Januar 2025 verschiedenste Kurztexte. Etwa von Religionskritiker Jean-Paul Sartre bis zu Schriftstellerin Mariana Leky oder dem Theologen Dietrich Bonhoeffer. Auch ein Comic mit den Peanuts ist immer dabei. Eingerahmt von Fotos und Illustrationen.
Tatsächlich hat sich die Intention des Kalenders gewandelt. Ging es vor 30 Jahren darum, mehr Zeit für Besinnung in der hektischen Zeit vor Weihnachten zu schaffen, so geht es jetzt eher darum, Zuversicht zu finden, sagt Macke. "Was hat Bestand in dieser immer unsicherer werdenden Welt? Wo kann ich Halt finden?" Die Kalendergeschichten berichten von scheinbar Alltäglichem. Erfahrungen der Zentrifugalkräfte in Patchworkfamilien. Oder von unerwarteten Begegnungen bei klemmenden Türen oder Platzangst im Fahrstuhl. Es sind ungewöhnliche Blickwinkel auf die Natur oder das Familientreffen. Es gibt mehr Säkulares zu lesen, das eine Brücke zu christlicher Sehnsucht und Hoffnung schlagen kann.
Der Kalender beschert dem Verein "Andere Zeiten" Einnahmen in Millionenhöhe. Der Verein organisiert den Vertrieb ebenfalls in Eigenregie, so werden weitere Kosten eingespart. Mittlerweile sind zahlreiche Buchprojekte und Devotionalien wie ein Bronzeengel als Verkaufsschlager hinzugekommen. Der Geldüberschuss wird auch wieder ausgeschüttet. "Andere Zeiten" fördert so jedes Jahr christliche Leuchtturmprojekte. Macke verweist auf einen "Kinderbibelpodcast" und ein "Kirchenmobil, das unterwegs ist und mobile Gottesdienste macht". Gefördert werden auch Gemeindegruppen, die ungewöhnliche Ideen haben, um neue Zielgruppen anzusprechen. Und so gibt es auch eine missionarische Seite bei "Andere Zeiten", wenn die christliche Botschaft auf eher unkonventionelle Art verbreitet wird.
Eine ausgemachte Zielgruppe gibt es übrigens nicht. Kirchenferne sind genauso unter den Lesern wie Kirchgänger, berichtet Macke. Wichtig sei der siebenköpfigen Redaktion, dass es zu einem Austausch mit den Leser:innen kommt. Mehr als 1000 Briefe und E-Mails erhält die Redaktion nach dem Erscheinen jedes Kalenders. Geschichten und neuer Stoff auch aus unbekannten Büchern findet so den Weg in die Redaktion. "Andere Zeiten" sucht diesen lebendigen, lockeren Austausch mit den Lesern. Zur ersten Redaktionssitzung des neuen Kalenders können sich Leser und Leserinnen mit selbst recherchierten Vorschlägen bewerben und nach Hamburg kommen. Zum 30. Kalendererscheinen will die Redaktion auch mit Gemeinden in Dialog treten und dort diskutieren. Die Auslieferung des Kalenders läuft gerade an.
Der Kalender "Anderer Advent" ist ab dem 12. September bestellbar direkt beim Verein "Andere Zeiten e.V.".