Unter jungen Menschen nehme das Gefühl von Einsamkeit zu, was ein Risikofaktor bei Suiziden sei, so die Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Ute Lewitzka. "Die sozialen Kontakte beschränken sich heutzutage oft auf den Schulunterricht", sagt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie dem Evangelischen Pressedienst (epd). In der Freizeit hätten hingegen manche junge Menschen weniger nachhaltige soziale Anbindung. Aufklärungsarbeit könne zum Beispiel aus Workshops an Schulen bestehen. Im vergangenen Jahr nahmen sich 10.300 Menschen in Deutschland das Leben. Lewitzka leitet das Werner-Felber-Institut für Suizidprävention in Dresden. In Sachsen finden mit rund einem Fünftel im Bundesländervergleich die meisten Selbsttötungen statt.
Für die hohe Anzahl gibt es laut Lewitzka mehrere Gründe. Es gebe eine historische Kontinuität, bereits Ende des 19. Jahrhunderts sei das Phänomen von Selbsttötungen in Sachsen beschrieben worden. Hierfür gebe es mehrere Hypothesen. Zum einen sei es möglich, dass in Regionen die Suizidrate niedriger sei, in denen mehr Katholiken leben als in Regionen mit einer vorherrschenden evangelisch-lutherischen Konfessionszugehörigkeit. Eine religiöse Bindung scheine generell ein Schutzfaktor zu sein. Dies könnte hinsichtlich des Katholizismus allerdings aus der Sichtweise stammen, dass der Suizid eine Sünde sei, sagt Lewitzka. Zum anderen spielten auch soziale und psychologische Faktoren eine Rolle.
"Lerntheoretische Vorstellungen erklären beispielsweise, dass, wenn sich in einer Familie über mehrere Generationen Familienmitglieder das Leben nehmen, Kinder lernen könnten, dass es diese Möglichkeit als letzten Ausweg gibt, mit Problemen umzugehen", sagt die Expertin für Suizidprävention. In Deutschland gebe es zwar viele Angebote für Suizidprävention, doch es mangele immer noch an Aufklärung und Wissen darüber, wo sie zu finden seien. Wenn es um eine akute suizidale Krise gehe, sei Zeit zu gewinnen, der wichtigste Faktor. "Die Menschen sind wie im Tunnel. Oftmals sind es zehn Minuten, die zwischen dem Entschluss und der Selbsttötung liegen", sagt Lewitzka.
Wer mit seinem Vorhaben auf Widerstand stoße, wenn zum Beispiel die Methode nicht verfügbar sei, könne hierdurch in eine Reflexionsschleife kommen und müsse zwangsläufig innehalten. Lewitzka forderte zudem eine Regelung von Bauvorschriften für Eisenbahn- und Auto-Brücken. Das Vorbild Schweiz zeige, dass Suizide an Brücken abnehmen, wenn sie entsprechende Hindernisse hätten. Denn eine Mehrheit von Menschen, die sich selbst töten wollten, wichen von ihrem Vorhaben ab, wenn es ihnen erschwert werde, sagt Lewitzka.