epd: Wann begannen die Kirchen, sich mit Klimafragen auseinanderzusetzen?
Ulrich Körtner: Das umweltethische oder auch umweltpolitische Engagement der Kirchen reicht auf jeden Fall bis zum Anfang der 1980er Jahre zurück, abgesehen von einer schon immer vorhandenen Schöpfungsfrömmigkeit. Damals war weniger vom Klimawandel die Rede, vielleicht bei einzelnen Fachleuten, aber nicht so in der breiten Öffentlichkeit. Man sprach von Umweltverschmutzung oder auch von Umweltzerstörung. Es entstand eine breite Umweltbewegung, auch in der damaligen DDR.
Ein wichtiges Signal war dann auf internationaler Ebene, dass der Weltkirchenrat einen konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung angestoßen hat. Die Impulse dazu gingen sehr stark von Deutschland aus. Das ging letztlich auf eine Idee von Dietrich Bonhoeffer zurück, der ein ökumenisches Konzil des Friedens angeregt hatte. Das wurde erweitert und aus dem Konzil wurde ein konziliarer Prozess.
Wie ging es weiter?
Körtner: Kirchliche Gruppen waren in der Umweltschutzbewegung auch international wahrgenommene Organisationen oder Pressure Groups. Dann gab es die erste Ökumenische Europäische Versammlung 1989 in Basel im Rahmen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Im selben Jahr fiel der Eiserne Vorhang. Unmittelbar davor hatte es in der DDR ab 1988 Ökumenische Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung gegeben. Insofern kann man sagen, waren die Kirchen führend in der Umweltschutzbewegung.
Und heute?
Körtner: Das Umweltthema ist im kirchlichen Mainstream angekommen, auch auf der Ebene von Kirchenleitungen und Synoden. Wenn man die weitere Entwicklung anschaut, dann scheint es mir allerdings so zu sein, dass die Kirchen insgesamt nicht mehr die Vorreiterrolle spielen. Es haben sich andere Akteure, nationale und internationale Organisationen gebildet.
"Ich sehe die Gefahr, dass die Kirche zu einer religiös grundierten NGO mutiert."
Wie gehen die Kirchen mit diesem Bedeutungsverlust um?
Körtner: Das ist ein Dilemma. Wenn ich mir die Entwicklung der evangelischen Kirche in Deutschland anschaue, ist zu beobachten, dass man in den letzten Jahren versucht, sich neu in der Gesellschaft aufzustellen. Gleichzeitig verliert die Kirche gesellschaftlichen Einfluss, weil die Zahl der Mitglieder sinkt. Auch der politische Einfluss der Kirchen nimmt dramatisch ab. Man versucht durch Kooperationen mit NGOs, also mit Nichtregierungsorganisationen, strategische Partnerschaften, ob es nun um das Flüchtlings- und Asylthema geht oder um das Umweltthema oder jetzt eben um den Klimaschutz. Dadurch soll die eigene Rolle in der Gesellschaft wieder gestärkt werden.
Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Körtner: Ich sehe die Gefahr, dass die Kirche zu einer religiös grundierten NGO mutiert, dass Forderungen, die man politisch durchaus sinnvoll finden kann, in leicht erhöhtem religiösen Ton vorgetragen werden. Das könnte man auch auf andere Bereiche beziehen. Das halte ich für theologisch bedenklich. Die Kirche ist eben keine Nichtregierungsorganisation. Sie hat eine andere Aufgabe, eben in der Welt das Evangelium zu verkünden. Wenn sich der Schöpfungsglaube auf klimapolitische Zielsetzungen und moralische Appelle beschränkt, verliert er seine geistliche Ausrichtung.
Beobachten Sie im Umgang mit der Klimakrise auch apokalyptische Strukturen, also den Glauben an einen baldigen, unabwendbaren Weltuntergang?
Körtner: So eine ähnliche Struktur haben wir in Teilen der Umweltbewegung. Beispiel ist die "Letzte Generation", die glaubt, die letzte zu sein, die jetzt noch das drohende Unheil abwenden kann. Das meine ich keineswegs zynisch gegenüber der jungen Generation, die sich so konsequent für den Umweltschutz einsetzt. Mir geht es vielmehr darum, dass diese Art von apokalyptisch aufgeladener Haltung am Ende ihrerseits entweder in Verzweiflung umschlagen oder sich als Illusion erweisen kann.
"Glaube ist religionsphilosophisch gesprochen eine Form von Kontingenzbewältigung."
Wie kann Religion Menschen helfen, besser mit diesen Ängsten umzugehen?
Körtner: Glaube ist religionsphilosophisch gesprochen eine Form von Kontingenzbewältigung. Das heißt, der Umgang mit der Erfahrung, dass wir im Leben nicht alles unter Kontrolle, dass wir das Heft nicht in der Hand haben. Wenn die Menschen etwas von der Kirche erwarten, dann ist das Seelsorge.
Dies bedeutet eben auch, mit diesen Kontingenzen, diesen Unsicherheiten, umzugehen, bis hin zu den ganz großen Fragen, etwa wenn wir uns klarmachen, dass der Homo sapiens wahrscheinlich auch keine ewige Existenz auf diesem Erdball haben wird. Die christliche Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung, auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, geht über das Irdische hinaus.
Das klingt ernüchternd …
Körtner: Das bedeutet gerade nicht, dass daraus ein Fatalismus oder ein Defätismus entspringt, also eine Art Hoffnungslosigkeit oder Resignation. Sondern daraus entsteht nach meinem Verständnis die Motivation zum Einsatz für das Vorletzte in seiner ganzen Endlichkeit und Vergänglichkeit. Auch im Vertrauen darauf, dass Gott in der Welt tatsächlich wirkt und handelt und nicht nur auf unser Tun, sondern auch auf unsere Gebete wartet und antwortet.
Birgt dieses Gottvertrauen nicht die Gefahr, untätig zu bleiben?
Körtner: Es gibt den Spruch, Gott habe keine anderen Hände als unsere Hände. Dadurch wird Gott jedoch auf Ethos, auf Moral, auf Motivationsverstärkung reduziert. Ich plädiere dagegen für eine Haltung des Mutes zum fraglichen Sein, die darauf vertraut, dass unser Leben bejaht ist und einen Sinn hat, der nicht von uns erzeugt und garantiert wird. Solcher Glaubensmut ist das Gegenteil von Nihilismus.
"Mir geht es um eine Form der Ermutigung zu einem Klimaschutzhandeln, das sich nicht aus einer Fünf-vor-zwölf-Rhetorik speist."
Was können die Kirchen zum Klimaschutz beitragen?
Körtner: Ich denke, wir sind als Kirchen aufgerufen, das unsere für den Umweltschutz zu tun. Das will ich alles überhaupt nicht madig machen, wenn Kirchen etwa Gebäude energieeffizient umgestalten. Mir geht es um eine Form der Ermutigung zu einem Klimaschutzhandeln, das sich nicht aus einer Fünf-vor-zwölf-Rhetorik speist. Was ist, wenn es gar nicht fünf vor zwölf, auch nicht fünf nach zwölf ist, sondern vielleicht schon fünf nach drei? Was machen wir denn dann?
"Mir geht es um eine Form der Ermutigung zu einem Klimaschutzhandeln, das sich nicht aus einer Fünf-vor-zwölf-Rhetorik speist."
Was also dann?
Körtner: Es geht auch darum, Klimafolgen zu bewältigen. Wir bekommen nicht alles in den Griff. Im Sinne einer provisorischen Ethik sind unsere Lösungsansätze stets begrenzt. Wenn wir hingegen an die totale Lösung oder die große Transformation glauben, droht der Schritt in ein totalitäres und das heißt, politisch auch letztlich antidemokratisches Handeln. Dann kommen die selbsternannten Eliten, die sagen, wir wissen den einzig richtigen Weg, wie alle Probleme der Welt zu lösen sind. Für politische Kompromisse und die komplexen Mechanismen einer repräsentativen Demokratie ist dann einfach kein Platz mehr.
Was bedeutet das für die Kirchen?
Körtner: Ich verstehe die Kirche als Raum, wo alle Christusgläubigen und vielleicht auch die Kleingläubigen oder die Halbgläubigen ihren Ort haben sollen. Wo eben nicht die eine Gruppe im Namen einer vermeintlich definitiv erkannten Weisheit die anderen marginalisiert, ausgrenzt oder überhaupt herauszukomplimentieren versucht. Das ist in der Kirchenentwicklung eine ernst zu nehmende Gefahr. Vielleicht findet das auch schon tendenziell statt.
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