Die Kirchen sind auf das Problem des Rassismus in unserer Gesellschaft aufmerksam geworden, und viele werden sich der Tatsache bewusst, dass sich dieses Problem auch auf den Kirchenbänken widerspiegelt. Aber was bedeutet das für die Kirche als Organisation? Wie sieht die Realität aus, und wie kann sich die Kirche auf den Weg machen, sich dessen nicht nur bewusst zu sein, sondern sich zu einer rassismuskritischen und antirassistischen Kirche zu entwickeln?
Das neue Werk "Ich bin dabei!" der Nordkirche ist ein wichtiger erster und längst überfälliger Schritt auf diesem Weg. In den hier veröffentlichten Texten reflektieren People of Color (PoC) über ihre Erfahrungen und ihre Lebenswirklichkeit speziell im kirchlichen Kontext. Neben Texten von PoC gibt es auch Texte von weißen Deutschen, deren Lebenslauf sie mit ihrer eigenen Mitschuld am System des Rassismus konfrontiert hat, oder die sich mit einigen Ausdrucksformen der rassistischen deutschen Geschichte, wie den Ehrentafeln in Kirchen, auseinandergesetzt haben.
Gesellschaftliche Veränderung spiegelt sich kaum in Kirchen wider
So sehr die Kirchen auch glauben mögen, dass sie "blind" sind, wenn es um die Hautfarbe geht, die Realität ist, dass sie nicht blind sind. Und obendrein bedeutet das Bekenntnis, "blind" für Hautfarbe zu sein, in der Regel nur, dass die überwiegend weißen Kirchenstrukturen nie in Frage gestellt oder verändert werden. Dann ignoriert eine solche Perspektive die strukturellen Probleme des Rassismus.
Es sind blinde Flecken wie diese, die die Autor*innen ansprechen, in der Hoffnung, den Kirchen zu helfen, sich schnell auf die verändernde Gesellschaft, mit der sie konfrontiert sind, besser einzustellen. Denn die deutsche Gesellschaft entwickelt sich rasant zu einer (Im)Migrationsgesellschaft, aber das spiegelt sich in den Kirchen kaum oder gar nicht wider. Viele der Autor*innen erwähnen die Proteste als Reaktion auf den Mord an George Floyd und "Black Lives Matter" als einen Wendepunkt in der öffentlichen Diskussion. Und obwohl der antischwarze Rassismus ein entscheidender Teil des Rassismussystems ist, befasst sich dieses Buch auch mit dem antiasiatischen Rassismus und anderen Formen des Rassismus.
Ich hätte mir nur gewünscht, dass das Spektrum dieses Buches in dieser Hinsicht noch breiter gewesen wäre. Zum Beispiel, die Diskriminierung von Rom*nja und Sinti*zze wird in einem Artikel erwähnt, aber das Thema wird nicht weiter vertieft. Da es sich um eine der ältesten Formen kontinuierlicher Diskriminierung in Europa handelt, hätte ich gern mehr über diese Form des Rassismus erfahren – oder einen Artikel aus der Perspektive von Rom*nja und Sinti*zze gelesen. Aber vielleicht gab es keine Autor*innen, was auch etwas über die Realität der Rom*nja und Sinti*zze in Bezug auf die Kirche und Rassismus aussagt…
Am Ende des Buches findet sich ein ausführliches Verzeichnis von Begriffen, Literatur und wichtigen Daten für Erinnerungen und Aktionen. Dies und der persönliche Charakter vieler Artikel tragen dazu bei, eine wichtige Brücke zwischen dem Akademischen und dem Persönlichen zu schlagen. Auf diese Weise ist das Buch für alle Leser*innen wichtig und zugänglich und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Kirche, die die Vielfalt der Schöpfung besser widerspiegeln kann. Und ein wichtiges Werk beim Abbau von Strukturen der Unterdrückung. Sogar innerhalb der Kirche selbst.
evangelisch.de dankt mission.de für die inhaltliche Kooperation