Portrait von Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide
epd-bild/Friedrich Stark
Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide pilgerte auf dem Jakobsweg und berichtet über seine Erfahrungen.
Drei Fragen an islamischen Theologen
"Bin mir selbst auf dem Jakobsweg näher gekommen"
Wie sieht Pilgern eigentlich im Christentum aus? Dies wollte der Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster, Mouhanad Khorchide, wissen, hat seinen Rucksack gepackt und ist auf dem Jakobsweg gepilgert. Dabei hat er einiges erlebt.

epd: Herr Khorchide, Sie waren als Muslim unterwegs auf dem Jakobsweg und haben darüber auch ein Buch geschrieben, das vor wenigen Tagen im Herder Verlag (Freiburg) erschienen ist. Was hat Sie dazu motiviert und welche Erfahrungen haben Sie von dort mitgenommen?

Mouhanad Khorchide: Es war die pure Neugier: Ich wollte erfahren, wie eine christliche Wallfahrt aussieht. Ich habe erfahren, dass dieser Weg ein Weg nach innen ist. Ich bin mir selbst auf dem Jakobsweg viel nähergekommen als vorher. Und das stärkt den Glauben, denn ein starker Glaube setzt Selbsterkenntnis voraus.

Außerdem wurde mir dort bewusst, dass unser Leben, ähnlich wie auf dem Jakobsweg, aus vielen kleinen Etappen besteht. Ein erfülltes und glückliches Leben kann dann erreicht werden, wenn uns die Balance gelingt, ein großes übergeordnetes Ziel im Leben zu verfolgen, ebenso wie uns auf kleine Ziele zu konzentrieren. Das Leben darf nicht auf die eine oder andere Seite kippen: Ein Leben ohne ein übergeordnetes Ziel wäre ein sinnloses, bei der starken Fokussierung auf ein großes in der Zukunft zu erreichendes Ziel läuft man wiederum Gefahr, zu übersehen, dass gerade in den kleinen Etappen des Lebens eine Erfüllung gefunden werden kann.

Hatten Sie auf dem Weg auch interessante Begegnungen mit anderen Pilgern?

Khorchide: Ja, etwa die Begegnung mit einem 75-jährigen Mann von den Philippinen hat mich sehr berührt, der seine Frau vor sieben Jahren bei einem tragischen Autounfall verlor und sich nun auf den Jakobsweg machte, um im Geiste den weiteren Weg des Lebens mit ihr zu bestreiten. Er sagte mir, er blicke während des Gehens hinauf in den Himmel und rede mit seiner Frau: "Ich bin mir ganz sicher, sie ist irgendwo da oben und begleitet mich auf diesem Weg." Für ihn war der Jakobsweg eine Quelle der Hoffnung. Er ging den Weg, um trotz der tragischen Schicksalsschläge Ja zum Leben zu sagen.

Sie waren auch schon zur Pilgerreise in Mekka - was sind für Sie die wesentlichen Unterschiede im Vergleich zum Jakobsweg?

Khorchide: Der Hauptunterschied besteht darin, dass in Mekka alles sehr genau ritualisiert ist. Man umrundet die Kaaba siebenmal, danach macht man dies und jenes. Auf dem Jakobsweg ist die Reise viel individueller. Wobei ich auf dem Jakobsweg erstaunt war, Menschen zu begegnen, die trotzdem nicht religiös sind. Gott scheint nicht für alle auf dem Jakobsweg präsent zu sein, in Mekka ist es anders. Dort ist das Gespräch nach innen wiederum nicht präsent. Eine Kombination aus dem Pilgern auf dem Jakobsweg und der Pilgerfahrt nach Mekka wäre aus meiner Sicht ideal: Ein Weg, der uns in Kontakt mit uns selbst bringt, und einer, der uns Gott näherbringt. Für die Zukunft wünsche ich mir, mit anderen muslimischen, christlichen und jüdischen Gläubigen beide Pilgerreisen gemeinsam zu unternehmen.

Mouhanad Khorchide. Ein Muslim auf dem Jakobsweg. Pilgererfahrungen der anderen Art, 175 Seiten, Herder Verlag, 18 Euro