Wer ein neues Kirchengesangbuch zusammenstellt, muss Nein sagen können - und zwar tausende Male. Denn die Auswahl geeigneter Lieder geht in die Zehntausende, ins Buch dürfen aber maximal gut 600. Die unselige Aufgabe des Neinsagens übernimmt für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) derzeit eine Gesangbuchkommission mit 72 Mitgliedern. Eines davon ist Pfarrer Friedrich Dehlinger vom Amt für Kirchenmusik der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Rund 10.000 Lieder kamen laut Dehlinger in die engere Wahl. Übrigbleiben sollen für den Stammteil des Gesangbuchs gerade mal gut 500. Dazu entwickeln einige Landeskirchen insgesamt vier Regionalteile, darunter einen gemeinsamen für die Landeskirchen in Baden, Württemberg und Österreich. Hier finden weitere 100 bis 150 Lieder Platz - über die aber final erst entschieden werden kann, wenn geklärt ist, was in den Stammteil kommt.
Die Auswahl ist hochkomplexes Unterfangen
Es ist Halbzeit bei der Entwicklung des neuen Buchs, aus dem künftig bundesweit in evangelischen Kirchen gesungen werden soll. Vor vier Jahren nahm in der EKD die Gesangbuchkommission die Arbeit auf, in vier Jahren soll das neue Buch fertig sein. Die Gremien arbeiten zwar nicht geheim, sparen sich aber auch die Öffentlichkeitsarbeit. So stammt der jüngste Eintrag auf dem dazugehörigen "Newsblog" der EKD vom 9. November 2021.
Eine gelungene Auswahl zu treffen, erweist sich als hochkomplexes Unterfangen. Zu allen kirchlichen Feiern wie Weihnachten und Ostern, Taufen und Hochzeiten soll es ein ansprechendes Angebot geben. Den älteren Gottesdienstbesuchern will man liebgewordene Choräle nicht nehmen, junge Leuten sollen moderne und ansprechende Songs vorfinden. Und dann sind da noch vertrackte Rechtefragen, die die Kosten in die Höhe treiben. Denn jedes neuere Lied gehört einem Verlag, und der lässt sich die Nutzung selbstverständlich vergüten.
In wenigen Monaten solle eine Arbeitsversion des neuen Gesangbuchs stehen, damit es in einzelnen Gemeinden erprobt werden kann, erläutert Dehlinger. Von Herbst 2025 bis Ostern 2026 dürfen Kirchengemeinden, die mitmachen wollen, schon mal in einen Teil des geplanten Werks "hineinsingen". Die Gesangbuch-Entwickler wollen dabei nicht nur herausfinden, ob ihre Liedauswahl die Bedürfnisse trifft, sondern auch, ob das Design gefällt und die Orientierung im Buch funktioniert.
Bis zur Hälfte der Lieder des aktuellen Gesangbuchs könnten im nächsten nicht mehr abgedruckt sein, schätzt Dehlinger. In digitalen Zeiten lassen sich geliebte Titel dennoch retten: Was es nicht ins gebundene Buch schafft, kommt in eine ergänzende Internet-Datenbank, die ebenfalls von der Gesangbuchkommission zusammengestellt wird.
Hier sollen bis zu 2.000 Lieder Platz finden - darunter alle aus dem Stammteil und den Regionalteilen. Gemeinden haben dann die Möglichkeit, aus dieser Datenbank Liedblätter für den Gottesdienst zu drucken oder die gewünschten Strophen an eine Leinwand in der Kirche zu projizieren. Allerdings müssen sie für die Nutzung gesondert bezahlen.
Begleitend soll es mehrere Apps geben, die das Gesangbuch auf dem Smartphone in den Alltag tragen. Hier kann man sich Lieder vorspielen und in eine andere Tonart transponieren lassen. Gewünschte Strophen erscheinen unter den Noten, damit das Singen unvertrauter Melodien leichter wird. Eine weitere App soll Vorschläge für den Einsatz im Religionsunterricht bieten oder vierstimmige Sätze für Chöre anzeigen.
Wenn sich die Kommission und die von der Evangelischen Kirche in Deutschland eingesetzte Steuerungsgruppe über das neue Gesangbuch einig geworden sind, legen sie das Ergebnis dem Rat der EKD vor. Das Gremium gibt die Zusammenstellung dann frei. Über die Einführung in den einzelnen Landeskirchen entscheiden wiederum deren "Kirchenparlamente", die Synoden. Das aber, so hofft Dehlinger, wird nur noch eine Formsache sein. Denn schon im derzeitigen Entwicklungsprozess arbeite man eng mit den Landeskirchen zusammen, um ihre Wünsche und Bedürfnisse angemessen zu berücksichtigen.
Preislich soll das neue Gesangbuch nahe beim alten liegen. Das kostet in Württemberg gegenwärtig in der mittleren Größe 26,80 Euro. Unklar ist die Startauflage. Der Bedarf dürfte geringer sein, denn die Gottesdienstgemeinde sei seit der Einführung des letzten Gesangbuchs 1996 kleiner geworden, bedauert Dehlinger.