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26. August, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Mittagsstunde"
Dörte Hansens Buch "Mittagsstunde" erzählt eine Geschichte über das Verschwinden von Gewohnheiten und Gewissheiten, von Landschaften und Menschen. Die komplexe Handlung erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte, hüpft jedoch immer wieder durch die Zeiten. Das funktioniert noch besser als Film.

An dieser Sprunghaftigkeit ist die zerrissen wirkende ZDF-Verfilmung von Hansens Debütroman "Altes Land" gescheitert. Catharina Junks Adaption von "Mittagsstunde" ist zwar ganz ähnlich konzipiert, funktioniert aber wesentlich besser: weil die Autorin die Vorlage radikal reduziert und sich aufs Wesentliche beschränkt hat. Hauptfigur des Films ist der von Charly Hübner mit Buddha-gleicher Tiefenentspanntheit verkörperte Archäologie-Dozent Ingwer Feddersen, der sich eine Auszeit nimmt, um sich in seinem nordfriesischen Heimatdorf Brinkenbüll um "Mudder un’ Vadder" zu kümmern. Das ist auch dringend nötig: Der alte Sönke (Peter Franke) ist zwar noch ganz fit, aber Ella (Hildegard Schmahl) muss rund um die Uhr beaufsichtigt werden, weil sie schon mal ausbüxt. 

Diese Ebene bildet jedoch nur den Rahmen und wirft zudem einige Fragen auf, die nach und nach durch die Rückblenden beantwortet werden. Deshalb sind die Jahre zwischen 1965 und 1975 das Rückgrat des von Lars Jessen mit großer Gelassenheit inszenierten Films. Damals hielt der vom Bürgermeister (Michael Lott) forcierte Fortschritt Einzug in das Dorf: Erst kamen die Landvermesser, dann die Flurbereinigung. Eine verblüffend simple, optisch aber überaus wirkungsvolle Schnittfolge illustriert, was das für die Landschaft bedeutete: Felder werden größer, Hecken verschwinden; aus Sicht des Naturschutzes der Anfang vom Ende.

Die Veränderungen betreffen natürlich auch die Menschen: Die Dorfstraße wird asphaltiert und verbreitert, Laster vertreiben die beschauliche Stille, und ein kleiner Junge wird zum ersten Fortschrittsopfer. Geschickt verknüpfen Junk und Jessen, die Ingwer ungleich stärker als im Roman (Penguin-Verlag) zum emotionalen Zentrum der Handlung gemacht haben, das große Ganze mit den Ereignissen im Dorfkrug der Feddersens: Die Landvermesser sind recht angetan von Tochter Marret (Gro Swantje Kohlhof), die ein bisschen "verdreht" und nach einer Begegnung mit zwei Zeugen Jehovas überzeugt ist, das Ende sei nahe. Damit hat sie völlig recht, schließlich erzählt "Mittagsstunde" in der Tat vom Untergang einer Welt. Die Männer ziehen weiter, haben aber eine kleine Erinnerung zurückgelassen; Marrets Eltern (Gabriela Maria Schmeide, Rainer Bock) geben den kleinen Ingwer als ihren eigenen Sohn aus. Der große Ingwer weiß zwar, wer seine wahre Mutter war, stellt aber verblüfft fest, dass es noch ein weiteres Familiengeheimnis gibt.  

 

Hübner und Jessen haben schon oft zusammengearbeitet, zuletzt bei "Für immer Sommer 90" (ARD), ebenfalls eine Reise in die Vergangenheit. Koautor und -regisseur war damals Jan Georg Schütte, der in "Mittagsstunde" als Anführer einer Line-Dance-Gruppe mitwirkt; "Für immer Sommer 90" hat allen dreien 2021 den Grimme-Preis beschert. Jessens norddeutsche Heimat spielt in vielen seiner Filme eine wichtige Rolle, etwa in seinem Kinodebüt "Am Tag als Bobby Ewing starb" (2005), später auch in den TV-Komödien "Butter bei die Fische" (2009, ARD), "Fischer sucht Frau" (2012, ZDF) oder "Vadder, Kutter, Sohn" (2017, ARD). Deshalb war es ihm ein großes Anliegen, dem Dialekt aus dem Roman treu zu bleiben. Dem Kinofilm war allerdings anzuhören, dass Friesisch nicht die Muttersprache aller Mitwirkenden ist, was die angestrebte Authentizität etwas konterkarierte. Jessen hat zwei Fassungen gedreht; das ZDF zeigt eine auch in Süddeutschland verständliche Version. 

Uneingeschränkt gelungen ist hingegen die Verknüpfung der Zeitzonen. Die harmonisch in die Rahmenhandlung des Jahres 2012 integrierten Rückblenden werden oft durch Musik ausgelöst, weil Ingwer zum Beispiel im Autoradio "Marmor, Stein und Eisen bricht" hört. Hansen hat die Kapitel des Romans mit den Titeln zeitgenössischer Hits überschrieben, und gerade die Schlager prägen den Film, zumal Marret ohnehin gern singt, auch auf der Bühne des Dorfkrugs. Menschen im Alter der Hauptfigur und mit ähnlich dörflicher Vergangenheit können Ingwers Gefühle angesichts des Kontrasts zwischen seinen Kindheitserinnerungen und der Gegenwart besonders gut nachvollziehen: Damals fand das Leben mehr oder weniger vor der Haustür statt. Heute sind die Straßen wie ausgestorben, die Geschäfte sind geschlossen. Den Dorfkrug, in dem vor fünfzig Jahren die Zeit stehen  geblieben ist, gibt es immer noch; aber die Musikbox ist schon lange verstummt.