Stattdessen sollten sie offen und neugierig auf andere zuzugehen - selbst, wenn das mitunter Unsicherheit auslöst, sagte er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Schwope, rund 85 Prozent der Menschen geben Studien zufolge an, dass gute Freunde wichtig sind. Warum geht es im Leben nicht ohne Freundschaften?
Götz Schwope: Der Mensch ist ein Erfolgsmodell, aber nicht, weil er ein Einzelkämpfer ist. Im Gegenteil. Der Mensch ist ein Herdentier. Biologisch betrachtet bedeutet die Gruppe für den Menschen Schutz - etwa vor Gefahren und Krankheiten. Das Bindungshormon Oxytocin wird ausgeschüttet, wenn ich soziale Bindungen eingehe, Freundschaften pflege. Es stärkt meine Resilienz - etwa gegen Stress, Krankheit oder Mobbing.
Was macht eine echte Freundschaft aus?
Schwope: Dass man einander vertraut. Man kann offen und ehrlich miteinander reden und ist in der Lage, Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten auszuhalten und auch für seine eigenen Interessen einzutreten. Freunde sind füreinander da, auch und gerade in schwierigen, weniger schönen Lebenssituationen. Eine Freundschaft hält Krisen aus.
Junge Erwachsene starten in neue Lebensabschnitte. Sie haben ihren Schulabschluss in der Tasche, wechseln die Stadt, studieren oder machen eine Ausbildung. Wie gelingt es ihnen, neue Freundschaften zu schließen?
Schwope: Es müssen ja nicht gleich tiefe Freundschaften sein. Das braucht ohnehin Zeit. Der erste Schritt ist es, Kontakte zu knüpfen. Und dazu gehören Offenheit und Aufgeschlossenheit und Neugier auf andere. Egal, was an Aktivitäten angeboten wird, ich kann nur empfehlen: Immer hingehen, sich zu Gruppen dazustellen, einfach mal "Hallo" sagen, eine Frage stellen, ins Gespräch kommen. Alles andere ergibt und entwickelt sich von allein.
Das hört sich leicht an. Ist es das denn wirklich?
Schwope: Nein, das ist es sicher nicht immer. Aber diese Ängste in neuen Situationen, mit neuen Menschen gehören dazu. Wichtig ist es, dass ich mir klarmache: den anderen geht es wahrscheinlich auch nicht anders. Und: Ich bin mehr als meine Angst. Jeder Mensch hat vielfältige Persönlichkeitsmerkmale, es gibt nicht das eine "Ich". Unsicherheit und Hemmungen sind nur ein Aspekt dieser Vielfalt.
"Wichtig ist es, dass ich mir klarmache: den anderen geht es wahrscheinlich auch nicht anders"
Und wenn jemand sehr schüchtern und introvertiert ist?
Schwope: Das muss kein Nachteil sein. Menschen sind verschieden und Introvertierte nicht weniger erfolgreich im Leben. Sie können gut beobachten, haben Fingerspitzengefühl für andere und eine eigene Meinung. Sie brauchen mehr Zeit, andere kennenzulernen. Und sie brauchen mehr Zeit für sich selbst. Sie können gut allein sein, ihnen reichen häufig wenige, aber gute Freunde.
Kann ich denn selbstbewusstes Auftreten auch trainieren?
Schwope: Ja, es hilft, wenn ich mich auch mal von außen betrachte. Wenn ich wie ein Trauerkloß durch die Gegend laufe, resigniert, mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick, dann ist die Chance natürlich nicht groß, dass ich interessant auf andere wirke und mich jemand kennenlernen möchte. Sich das klarzumachen und an dieser äußeren Haltung etwas zu verändern, kann ein erster Schritt sein. Rücken strecken, andere offen und freundlich anblicken, lächeln, dann wirkt man gleich ganz anders. So wie man geht, so geht’s einem!
Gibt es besondere Herausforderungen für die Generation Z, die jetzt in Ausbildung und Beruf startet?
Schwope: Ja, das denke ich schon. Ob Social Media, Gaming oder stundenlanger Konsum von Handy-Videos: Es ist die erste Generation, die sehr viel Zeit am Bildschirm verbracht hat. Manche bis zu sieben oder acht Stunden am Tag. Corona hat das verstärkt. Dadurch sind viele zu Zuschauern des Lebens geworden, statt selbst aktiv Beziehungen zu anderen einzugehen.
Und was bedeutet das konkret...?
Schwope: Es ist eine Generation herangewachsen, die durch die sozialen Netzwerke gelernt hat, schnell eine Meinung zu haben, zu bewerten, zu kommentieren, aber weniger, sich in echte, analoge, komplexe Beziehungen zu anderen zu begeben. Beziehungen, in denen ich mich nicht hinter einem Pseudonym verstecke. Beziehungen, die ich aushalten muss, bei denen ich nicht einfach wie im digitalen Raum auf Stopp klicke oder weiterscrolle, wenn es mir zu viel oder unangenehm wird.
Das klingt, als hätte es diese Generation schwerer, Kontakte zu knüpfen und Freundschaften zu schließen.
Schwope: Grundsätzlich gilt, dass wir Menschen entweder geübt oder ungeübt in Dingen sind. Wir können immer das gut, was wir regelmäßig tun. Die jungen Leute, die sehr viel Zeit am Bildschirm verbringen, sind sicher nicht sehr geübt im Small Talk oder darin, auf Menschen zuzugehen. Doch ich gehe davon aus, dass jeder Mensch intuitiv in Beziehung zu anderen leben möchte - und dieser Umgang mit andern lässt sich lernen. Meine Botschaft ist deshalb: Sei offen, vertrau' Dir selbst und hab' Geduld.