"Der Verein ist meine zweite Familie geworden", bekennt Mohammad Reza Parsaei. Der aus dem Iran stammende Agrarwissenschaftler hütet auch mit 66 Jahren das Tor des Mainzer Fußballvereins FC Ente Bagdad. Schon der Name habe ihn begeistert, und erst recht das soziale Engagement der Mitglieder. "Die Ente geht auf die Leute zu", hat er erfahren. So kämen im Verein Fußballfreunde aus aller Welt zusammen. "Wo können sich Menschen besser integrieren als dort, wo sich Deutsche ehrenamtlich engagieren?", fragt Parsaei.
"Wir wollen Fußball spielen, und wir wollen die Welt etwas besser machen", formuliert "Urente" Stefan Schirmer das doppelte Ziel des 51 Jahre alten Vereins. Die Mainzer Kicker haben rund 120 Mitglieder und ungefähr noch einmal so viele Flüchtlinge in ihren Reihen. Als die Flüchtlingszahlen 2014 stiegen, lud der Verein Ankömmlinge zum Kicken ein und startete ein Training zweimal die Woche - in deutscher Sprache. "Wir haben uns rund um die Uhr gekümmert, um Schule, Sprachkurse, Wohnungen, Behördengänge, Berufsorientierung, Bewerbungstraining", zählt Schirmer auf. Von den Mannschaftskameraden aus fernen Ländern seien inzwischen fast alle in Ausbildung oder Beruf.
Schnell reagierte der Verein auch nach der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. "Wir haben im Baumarkt Eimer, Schaufeln, Werkzeug gekauft und in den Wochen danach mehrmals im Ahrtal angepackt", erzählt Mitgründer Ronald Uhlich. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 kamen ukrainische Kinder und Jugendliche in die Stadt - der FC Ente Bagdad stellte für sie ein Kindertraining auf die Beine. Einige der Kinder erhielten am Fußballplatz auch Unterstützung bei ihren Schulaufgaben. "Der Verein ist mehr als Fußball", sagt Uhlich. Kommerz will der Verein nicht, er spielt deshalb auch nicht in den Ligen, sondern gegen andere Hobbymannschaften.
"Wir wollen anders sein als die anderen", erklärt Uhlich. Er und seine Kumpels gründeten als langhaarige Oberstufenschüler 1973 den FC Ente Bagdad. Den Namen erfanden sie in einer Kneipe. "Wir wollten uns abheben von den biederen Fußballmannschaften wie ein FC Germania, wir wollten was Progressives", erzählt Uhlich. "Wir wollen keine Vereinsmeierei, wir wollen Freigeister sein." Der Einfall "Ente Bagdad" stieß auf einhellige Zustimmung. "Die Ente geht nie unter, sie schwimmt immer oben, und Bagdad stand für die weite Welt und für 1.001 Nacht", erklärt Uhlich. Inzwischen haben die Kicker mit Mitspielern aus 25 Nationen "die Welt" aufgenommen und bei Freunden in der weiten Welt gespielt, ob in Bolivien oder Israel. Mit wachem Blick auf die Geschichte ist der FC Ente Bagdad der Initiative "Nie wieder! Erinnerungstag im Deutschen Fußball" beigetreten, die den Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar begeht.
Zusammen mit dem 1. FSV Mainz 05 und Partnern organisiert der Verein die Mainzer Erinnerungswochen. Auch zu aktuellen Ereignissen zeigt der FC Ente Bagdad Flagge: Als ein Israeli mit Kippa auf dem Kopf 2018 in Berlin angegriffen wurde, lief jeder "Enten"-Fußballer beim folgenden Spiel mit einer Kippa auf, erzählt Uhlich. Die Mitspieler aus Afghanistan und Syrien machten mit. Der FC Ente Bagdad setzt sich zudem für Fußballer mit Behinderungen ein. Der Verein habe auf den Deutschen Fußball-Bund eingewirkt, die Satzung zu ändern, so dass Behinderte in der A-Jugend nicht mit 18 Jahren die Mannschaft verlassen müssen, sondern so wie in den unteren Jugendklassen länger mitspielen dürfen, erklärt Uhlich. Im Verein selbst trainierten derzeit zwei Kinder mit Downsyndrom.
Zum 50-Jahr-Jubiläum 2023 gratulierte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD): "Sie, liebe Entenfamilie, sind ein leuchtendes Beispiel für unsere solidarische, offene Gesellschaft". Das Motto des für sein Engagement mehrfach ausgezeichneten Vereins lautet in Anpassung der bekannten Fußball-Hymne: "You'll never watschel alone". Die Bedeutung hält auch Habib Mohammadi beim Verein. Der 26-Jährige reiste 2016 allein aus Afghanistan nach Deutschland und fand sein Zuhause beim FC Ente Bagdad. Die Mitglieder hätten ihm geholfen, gesund zu werden und einen Job in der Gastronomie zu finden. "Alle hier sind meine Freunde", sagt er und strahlt.